PFAS in Mittelbaden - eine unendliche Geschichte
PFAS in Mittelbaden - das ist die Geschichte eines Skandals mit unklarem Anfang und offenem Ende. Dazwischen stehen viele Fragen: wieso passiert scheinbar so wenig, was macht man, um die Chemikalien aus dem Boden zu bekommen, muss ich mir Gedanken um meine Gesundheit machen und sind wir eigentlich allein mit dem Problem?
Wenn man durch das Oberrheintal zwischen Rastatt und Bühl fährt, ist nicht zu erkennen, dass man sich in der Region des „flächenmäßig größten Umweltskandals „der letzten Jahre befindet, wie es die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung bereits 2016 genannt hatte. Aber auf den Ackerböden liegt eine brisante Mischung von Umweltgiften, die von dort aus unaufhaltsam in das Grundwasser sickern. Mit den Folgen davon werden sich noch die folgenden Generationen beschäftigen müssen.
Die Ursache der großflächigen PFAS-Belastung in Mittelbaden ist nach heutigen Erkenntnissen auf die Aufbringung von mutmaßlich PFAS-haltigen Papierschlamm-Kompost-Gemischen auf die Felder zurückzuführen. Ein Komposthändler aus der Region hatte Papierschlämme aus 14 verschiedenen Papierfabriken angenommen, nachgewiesen wurden 106.000 Tonnen in den Jahren 2006-2008. Darunter waren auch Recyclingschlämme, was damals wie heute gegen die geltende Bioabfall- und Düngemittelverordnung verstieß.
Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sind fett-, wasser- und schmutzabweisend, Tapeten werden dadurch beispielsweise imprägniert und Verpackungen von Nahrungsmitteln und Tierfutter fettdicht. Das Fraunhofer-Institut in Freising fand verschiedene PFAS in Butterwicklern, Backpapieren, Käseverpackungen, Butterbrotpapieren, Faltschachtelkartons und Fastfood-Verpackungen. Was aber nun in „Papierschlamm-Form“ als vermeintlicher Dünger auf Mittelbadens Feldern landete, lässt sich nicht genau sagen.
Auf jeden Fall blieb diese brisante Mischung nicht nur auf den Äckern, sondern verteilte sich im Grund- und Trinkwasser. Erst Ende 2012 entdeckten die Stadtwerke Rastatt bei einer Routinekontrolle PFAS im Rohwasser des Wasserwerkes in Rauental. Weitere Kontrollen bestätigten den Befund und die Untersuchungen von Boden, Wasser und Lebensmitteln liefen an. Die Ergebnisse waren nicht erfreulich und der Landkreis sah sich 2013 nach der Meldung durch die Stadtwerke mit einem PFAS-Problem konfrontiert, das immer größer wurde, je mehr man untersuchte.
Großflächige Verteilung in Boden und Grundwasser
Bis heute sind in Mittelbaden von 10.162 Hektar Ackerland 1188 Hektar mit PFAS belastet, das entspricht in etwa 1500 Fußballfeldern. Man geht davon aus, dass ungefähr 1000 bis 5000 Kilo PFAS im Boden sind. Die Stadtwerke Rastatt rechnen mit einer Gesamtfläche des oberflächennah belasteten Grundwasserkörpers von rund 58 Quadratkilometer (5.500 ha), was der Fläche des Ammersees entspricht. Das Gesamtvolumen des belasteten Grundwassers wird mit mindestens 180 Millionen Kubikmeter angegeben. Man hat 4500 Bodenproben genommen und 4500 PFAS Analysen im wässrigen Extrakt und 2950 Analysen vom Boden selbst durchgeführt. Weiter wurden 750 Grundwasserbrunnen untersucht und 7200 PFAS-Analysen im Wasser vorgenommen.
Mit der Bearbeitung sind neben dem Landratsamt Rastatt (LRA) die Stadt Baden-Baden, das Regierungspräsidium Karlsruhe, die Stabsstelle PFC, die Landesanstalt für Umwewlt Baden-Württemberg (LUBW), das Technologiezentrum Wasser, das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg, das Landwirtschafts-, das Umwelt- und das Sozialministerium sowie das Landesgesundheitsamt betreut.
Ausführliche Informationen über diesen regionalen PFAS-Skandal finden Sie in der PFAS-Broschüre "PFAS/PFC in Mittelbaden, Globale Umweltgifte werden zum regionalen Problem" auf dieser Seite.
Fünf bekannte PFAS-Hotspots in Deutschland (bis 2022)
Die PFAS-Belastung in Mittelbaden gehörte bis zum letzten Jahr zu den bis dahin bekannten fünf PFAS-Hotspots in Deutschland (Flughafen Düsseldorf, Hochsauerlandkreis (Arnsberg, Möhnetalsperre), Bundeswehrflughafen Manching, Chemiepark Gendorf) und ist Teil einer globalen Belastung von Boden, Wasser und Luft mit den fluorierten Chemikalien. Manchmal hervorgerufen durch Aufträge auf die Böden wie bei uns in Mittelbaden oder durch Chemiewerke wie in Gendorf in Bayern oder manchmal auch eng begrenzt durch den Einsatz von PFAS-haltigen Feuerlöschschäumen wie es an praktisch allen Zivilflughäfen der Fall ist, wie auch am Baden-Airpark. Auch die Bundeswehrstandorte sind quasi flächendeckend betroffen. Fachleute suchen europa- und weltweit nach Lösungen sowie nach Regulierungen der Chemikaliengruppe. Auch dazu finden Sie ausführliche Informationen in der PFAS-Broschüre (s.o.).
Seit Februar 2023: Eine von 1.500
Am 23. Februar stellte ein internationales Journalisten-Team das Ergebnis der monatelangen Recherchen des Forever Pollution Projects vor: In Deutschland sind rund 1.500 Stellen und europaweit an die 20.000 Stellen mit PFAS belastet, Mittelbaden ist nur eine davon.
"Die Journalisten sammelten 100 Datensätze und reichten Dutzende von FOIA-Anträgen ein, um eine einzigartige Karte der PFAS-Kontamination in Europa zu erstellen, ähnlich, wie es sie für Amerika oder Australien schon länger gibt.
"Etwas Ähnliches hat für Europa gefehlt", sagte Martin Scheringer, Experte für Umweltchemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (Schweiz). "Ihr Beitrag ist daher äußerst wichtig und wertvoll."
Das Projekt zeigt, dass es in Europa 20 Produktionsstätten und mehr als 2 100 Standorte gibt, die als PFAS-Hotspots betrachtet werden können – Orte, an denen die Kontamination ein Niveau erreicht, das als gesundheitsgefährdend für exponierte Personen angesehen wird. Das Problem: Es ist extrem teuer, diese Chemikalien loszuwerden, wenn sie erst einmal in die Umwelt gelangt sind. Die Kosten für die Sanierung werden voraussichtlich zweistellige Milliardenbeträge erreichen. Vielerorts haben die Behörden bereits aufgegeben und beschlossen, die giftigen Chemikalien im Boden zu belassen, weil es nicht möglich ist, sie zu reinigen."(übersetzt aus https://foreverpollution.eu/ )
Wenn man in die interaktive Karte hineinzoomt, die das Team dort zusammengestellt hat, sieht man in Deutschland eine Häufung der Fälle entlang des Rheins und in Mittelbaden die bekannten und vermuteten PFAS-Belastungen.