Mittelbadens PFAS-Belastung Thema bei internationalem OECD Global PFAS-Forum
Was hat Mittelbaden mit Flandern, Dordrecht, Norditalien oder Michigan gemeinsam? Sie alle haben eine mehr oder weniger ausgeprägte Belastung mit PFAS (per- und polyfluoralkyl Substanzen) vorzuweisen. Unser Fall hat dabei eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt, da unsere Art der Bodenbelastung so kompliziert ist. Bei dem internationalen OECD Global PFAS-Forum am 12. und 13. Februar wurde der „Rastatt-Case“ deswegen als Beispiel vorgestellt.
Was sind PFAS überhaupt?
Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) sind eine große Gruppe industriell hergestellter Fluorchemikalien, die in den 1940er Jahren entwickelt wurden. Sie werden wegen ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Funktion in vielen Produkten genutzt. Man findet die Stoffe heute überall, von Zahnseide über Kosmetik, Teflonpfannen, Fast Food Verpackungen hin zu Outdoor-Kleidung. Sie sind in Medizinprodukten, Medikamenten, in E-Mobilen, Photovoltaikanlagen oder Windrädern, sogar die Weltraumforschung kommt ohne PFAS nicht aus.
PFAS sind extrem langlebig und auch als Ewigkeitschemikalien bekannt. Sie sind mittlerweile weltweit in den Ökosystemen nachweisbar, die Sanierungen von Boden und Wasser sind aufwändig und kostenintensiv. Wir nehmen PFAS über Wasser und die Nahrungskette auf und die Stoffe verbleiben unterschiedlich lange in unserem Körper, von Tagen bis zu Jahren. PFAS sind gesundheitsschädlich und werden mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht.
Deswegen sollen in Europa die PFAS als Gruppe verboten werden, Ausnahmen sind vorgesehen (s.a. PFAS-Verbot), darüber wird laut und kontrovers diskutiert.
PFAS in Mittelbaden kurz zusammengefasst
In Mittelbaden gibt es eine kleinräumige Kontamination von verschiedenen Feldern, die grob geschätzt etwa 27 Kilometer lang und 11 Kilometer breit ist. Bis heute sind hier 1105 Hektar mit PFAS belastet, das entspricht in etwa 1500 Fußballfeldern. Man geht davon aus, dass ungefähr 1000 bis 5000 Kilo PFAS im Boden sind. Die Stadtwerke Rastatt rechnen mit einer Gesamtfläche des oberflächennah belasteten Grundwasserkörpers von rund 58 Quadratkilometer (5.500 ha), was der Fläche des Starnberger Sees entspricht. Das Gesamtvolumen des belasteten Grundwassers wird mit mindestens 180 Millionen Kubikmeter angegeben.
Der PFAS-Skandal wird umfangreich gemanagt, da eine Sanierung der belasteten Böden nicht möglich und nicht finanzierbar ist. Die Trinkwasserversorger reinigen das Trinkwasser und die Landwirtschaft wird kontrolliert. Die Verwendung der Beregnungs- oder Gartenbrunnen ist in bestimmten Gebieten geregelt oder sollte vermieden werden; Angelseen sind ebenfalls belastet. In Blutuntersuchungen wurden PFAS auch im Blut der Mittelbadener nachgewiesen, die Tendenz ist aber wohl aufgrund der Gegenmaßnahmen fallend.
Baugebiete können betroffen sein und die Frage der Verwendung von PFAS-Böden muss geklärt werden. In den Abläufen der Kläranlagen kann man PFAS messen, deswegen rüsten die großen Kläranlagen mit der vierten Reinigungsstufe nach, um die Chemikalien herauszufiltern.
Die Ursache der großflächigen PFAS-Belastung in Mittelbaden ist nach heutigen Erkenntnissen auf die Aufbringung von mutmaßlich PFAS-haltigen Papierschlamm-Kompost-Gemischen auf die Felder zurückzuführen. Weitere Details zu dem regionalen PFAS-Skandal können in den beiden PFAS-Broschüren (2021 und 2023) oder auf der Homepage hier nachgelesen werden.
Bei uns waren es Papierschlamm-Komposte, anderswo Feuerlöschschäume, die PFAS enthalten haben. Dadurch sind eigentlich alle Privat- und Militärflughäfen weltweit irgendwie von PFAS betroffen. In anderen Gebieten geht die Belastung auf Chemiefabriken zurück wie in Altötting oder Dordrecht oder Flandern.
OECD Global PFAS-Forum
Auf der internationalen OECD-PFAS-Tagung wurde neben der Vorstellung des Rastatt-Cases natürlich auch die gesamte PFAS-Problematik von allen Seiten ausführlich beleuchtet:
Während dieser zweitägigen Veranstaltung diskutierten Interessenvertretern von Regierungen, Industrie, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Wissenschaftler verschiedene Themen im Zusammenhang mit PFAS. Diese Themen umfassten Bereiche wie Risikomanagementansätze in den einzelnen Ländern, Innovationsherausforderungen bei der Suche nach sichereren Alternativen, wirksame Risikokommunikationsstrategien, Überwachungstechniken, Abfallmanagement und Ansätze zum Umgang mit Kontaminationen.
Dabei wurde deutlich, wie komplex, zeitaufwendig, teuer und langwierig die PFAS-Problematik insgesamt ist.
"Man muss sich fragen, wo die Stoffe überall enthalten sind. Und diese Frage werden wir nicht beantworten können", sagte Martin Scheringer von der ETH Zürich. Er betonte zudem, dass bei allen Diskussionen um die Regulierung von PFAS auch der Zeitfaktor berücksichtigt werden müsse: "Die PFAS, die jetzt in die Umwelt gelangen, werden dort für immer bleiben. Es ist daher sehr dringend, die Stoffe zu begrenzen".
"Wo landen all diese Stoffe? Dort, wo wir leben", fasste Johan Ceenaeme aus Flandern, einem weiteren PFAS-Gebiet, zusammen. Die produzierenden Fabriken dort wurden aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen und in Wohngebiete umgewandelt, in denen die Menschen jetzt leben.
Und das Resümee?
Wir haben eine globale PFAS-Belastung, aber keine globale PFAS-Kommunikation.
Wir brauchen noch mehr internationale Zusammenarbeit, um Wissen austauschen. Wir brauchen das Verursacherprinzip und eine Art Verantwortung der Produzenten für die Sanierung. Wir brauchen Transparenz und Informationen über Verwendung, Entsorgung und Recycling, wir müssen PFAS nach Möglichkeit vermeiden und die Regulierung und den Ausstieg vorantreiben.
Das PFAS-Problem, das wir kennen, ist überall immer noch nur die Spitze des Eisbergs.
Und deswegen wäre es angesichts der wirklich komplexen PFAS-Situation einfach schön, wenn sich einige Politiker oder Fraktionen erst einmal informieren würden, bevor sie Erklärungen, Pressemitteilungen oder Interviews zum Thema PFAS (Beschränkung) abgeben - sozusagen als vertrauensbildende Maßnahme 😊⚗️
Internetlink: The OECD Global Forum on the Environment dedicated to Per- and Polyfluoroalkyl Substances
© Patricia Klatt (Text und Fotos)