Vom Erfolg zur globalen Bedrohung
1947 beginnt die Firma 3M mit der Massenproduktion von Perfluoroctansäure (PFOA), einem der bekanntesten Vertreter der PFAS, 1951 verwendet die Firma DuPont PFOA zur Herstellung von Teflon. 1952 wird durch Zufall die wasser- und fettabweisende Wirkung von Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) entdeckt, 3M lässt sich das später als Scotchgard patentieren. In den 1960er Jahren entwickeln 3M und die US-Marine „wässrigen filmbildenden Schaum“ (AFFF), einen Brandbekämpfungsschaum, der PFOS und PFOA enthält. Seit den 1970er Jahren wird AFFF weltweit an Militärstandorten, zivilen Flughäfen und Ausbildungszentren für die Brandbekämpfung genutzt.
Heute findet man die PFAS überall, von der Teflonpfanne über Fast Food Verpackungen hin zu Outdoor-Kleidung, sogar die Weltraumforschung kommt ohne PFAS nicht aus.
PFAS können während ihres gesamten Lebenszyklus (Herstellung, Verwendung, Recycling oder Abfallentsorgung) in die Umwelt gelangen. Sie werden über die Atmosphäre transportiert und wurden sogar im Regenwasser gefunden, wie Wissenschaftler in Ohio-Indiana gemessen haben.
Die fluorierten Chemikalien finden sich heute überall in Boden und Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser, von dort gelangen sie in Pflanzen und Tiere. Man fand die Stoffe in der Leber von Eisbären, im Plasma von Karettschildkröten und im Plasma von Heringsmöwen.
PFAS sind auf der einen Seite also eine Erfolgsgeschichte und erleichtern uns das moderne Leben. Auf der anderen Seite sind sie aber auch Ursache für die Gefährdung von Menschen und Ökosystemen. PFAS sind gesundheitsschädlich, sie reichern sich im Körper und in der Umwelt an und gehören zu den langlebigsten (persistentesten) Stoffen, die wir kennen.
Gesundheitsgefährdend und persistent
Die fluorierten Chemikalien sind plazentagängig und werden auch mit der Muttermilch auf die Babys übertragen. Man schätzt, dass wohl 99 Prozent aller Amerikaner messbare PFAS-Werte in ihrem Blut aufweisen und es werden zahlreiche Krankheiten damit in Zusammenhang gebracht. Manche PFAS (1) werden durch Resorption nahezu vollständig aus dem Magendarmtrakt in das Blut aufgenommen, binden unspezifisch an Serumproteine und verteilen sich im Blut und daneben bevorzugt in den inneren Organen wie Leber, Niere und Lunge. Man diskutiert auch über ein erhöhtes Risiko durch PFAS für Asthma, Schilddrüsenerkrankungen, Colitis ulcerosa sowie für Hoden- und Nierenkrebs. Reihenuntersuchungen zeigen auch ein verspätetes Einsetzen der Pubertät, sowie eine verringerte Spermienqualität (2), einen geschrumpften Hoden und kleineren Penis. Eine aktuelle repräsentative Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (3) zeigt auf, dass in Deutschland Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 17 Jahren zu viele langlebige Chemikalien aus der Stoffgruppe der PFAS im Blut haben.
Die tatsächliche bundesweite Dimension der PFAS-Belastung ist unbekannt. Aber bei jedem neu gefundenen PFAS-Schadensfall steht man weltweit überall vor den gleichen Fragen:
- Was und welche Mengen sind in Boden und im (Trink-)Wasser,
- wie kann saniert werden,
- wie viele Leute haben PFAS im Blut und
- wer ist verantwortlich und kommt für die ganzen Kosten auf?
- Gefolgt von der Frage: Warum sind diese Stoffe eigentlich immer noch nicht hinreichend reguliert?
Update 1. März 2023:
Die "PFAS-Welt" ist in Bewegung und vieles, was gestern noch als offene Frage beziehungsweise Forderung formuliert wurde, hat sich in den letzten Wochen geändert.
Was und welche Mengen sind in Boden und im (Trink-)Wasser?
Das kann zwar immer noch niemand ganz genau sagen, doch ein internationales Journalisten-Team stellte am 23. 2. 2023 das Ergebnis der monatelangen Recherchen des Forever Pollution Projects vor. Ergebnis: in Deutschland sind rund 1.500 Stellen und europaweit mehr als 17.000 Stellen mit PFAS belastet, Mittelbaden ist nur eine davon.
Die französische Zeitung "Le Monde" war Teil des Teams und in einem Artikel wurde sehr treffend gesagt:
„Es ist beunruhigend, dass die Aufgabe, die schockierenden Dimensionen der PFAS-Kontamination in Europa aufzudecken, Journalisten zugefallen ist. Wir denken, es hätte in der Verantwortung der europäischen Regierungen und Regulierungsbehörden liegen sollen, früher zu handeln, da die Dimensionen der PFAS-Katastrophe vor mehr als 15 Jahren sichtbar wurden. Der Komfort, der durch die Zugabe von PFAS zu zahlreichen Produkten erzielt wird, rechtfertigt keine große und fast irreversible Kontamination großer Teile der europäischen Gewässer, Böden und der menschlichen Bevölkerung sowie die gesundheitlichen Auswirkungen, die von den kommenden Generationen getragen werden. … Anstatt zufällig PFAS-Kontaminations-Hotspots zu finden, ist es natürlich vorzuziehen, zum Schutz der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt einen systematischen Ansatz zur Identifizierung von PFAS-Kontaminationen zu haben.
Im Jahr 2022 entwickelten Wissenschaftler in den USA unter der Leitung von Alissa Cordner vom Whitman College ein Modellierungstool für "mutmaßliche Kontamination", das verwendet wurde, um Bereiche mit wahrscheinlicher PFAS-Kontamination zu lokalisieren, da keine Überwachungsdaten vorhanden waren. Das Tool gilt als von unschätzbarem Wert für zukünftige Überwachungs-, Regulierungs- und Minderungsbemühungen in den USA.“
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Interview in den Badischen Neuesten Nachrichten aus dem Jahr 2019, in dem mir Jörg Frauenstein vom Umweltbundesamt sagte: "Schon in dem Bericht des Bundesumweltministeriums von 2017 zeigte sich, dass man nur aus sechs Bundesländern überhaupt irgendwelche Untersuchungen vorliegen hat. Das hat sich nicht wesentlich geändert, es gibt bis heute Bundesländer, die durch „aktives Weggucken“ das Problem komplett ignorieren" (Artikel bnn.de PFC).
Wer ist verantwortlich und kommt für die ganzen Kosten auf?
Die Industrie offenbar nicht, denn in einem Beitrag in der Tagesschau vom 27.2.2023 heißt es:
"Industrievertreter sieht Bürger in der Pflicht
Thomas Kullick vom Verband der Chemischen Industrie leitete die Arbeitsgruppe für die freiwilligen Maßnahmen und sagte 2022, es sei nur konsequent, "wenn der Bürger für seine Lebensgewohnheiten" und deren Folgen "auch letztendlich finanziell" aufkomme."
Das freut uns in #Mittelbaden sehr, denn wir kommen hier auf ganz unterschiedliche Art und Weise für die Folgen der hiesigen flächenhaften PFAS-Belastung auf, auch finanziell (Die geschätzen Kosten liegen aktuell irgendwo zwischen 30 und 40 Millionen Euro). Man müsste deshalb ergänzen, dass es allerdings auch nur konsequent wäre, wenn die Industrie für die Produktion und Anwendung der PFAS und deren Folgen ebenfalls finanziell aufkomme würde. Da das Verursacherprinzip aber oft nicht mehr als ein frommer Wunsch bleibt, ist das angestrebte europäische Verbot für diese Ewigkeitschemikalien zu begrüßen, das von Wissenschaftlern, Behörden, NGO‘s und Betroffenen unterstützt wird.
Warum sind diese Stoffe eigentlich immer noch nicht hinreichend reguliert?
Das wird bald hoffentlich anders sein, denn am 7. Februar 2023 hat die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) den Vorschlag für ein Verbot der Herstellung, der Verwendung und des Inverkehrbringens (einschließlich der Einfuhr) von mindestens 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) veröffentlicht. Das vorgeschlagene Verbot wurde im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACH von Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Schweden ausgearbeitet. Aus Deutschland waren die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), das Umweltbundesamt (UBA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) an der Ausarbeitung beteiligt. Ziel des Verbots ist es, die Freisetzung von PFAS in die Umwelt drastisch zu verringern.
Mehr dazu auch in dem Beitrag: PFAS in Mittelbaden, 1 von 1.500 in dem Blog auf dieser Seite (https://pfas-dilemma.info/aktuelles/58-pfas-mittelbaden-1-von-1500 ).
Links zum Thema:
1 Bundesinstitut für Risikobewertung, u.a. Mitteilungen zu Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS)
2 Di Nisio et al. (April 2019 ) Endocrine Disruption of Androgenic Activity by Perfluoroalkyl Substances: Clinical and Experimental Evidence, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, Volume 104, Issue 4
3 Duffek et al. (July 2020,) Per- and polyfluoroalkyl substances in blood plasma – Results of the German Environmental Survey for children and adolescents 2014–2017 (GerES V), International Journal of Hygiene and Environmental Health Volume 228
4 BRPodcast: Chemikalienverbot - Warum PFAS ein mögliches Ende droht, Birgit Magiera, 16.1.2023
5 BMUV: Fragen und Antworten zu PFAS (abgerufen 23.1.2023)
6 The Forever Pollution Project: Journalists tracking PFAS across Europe, 23.2.2023
7 "It is crucial that a strong and effective PFAS restriction enter into force as soon as possible',
Le Monde, 25.2.2023, updated 27.2.2023
8 Jahrhundertgift PFAS: Auf die lange Bank, Tagesschau, 27.02.2023 04:22 Uhr