Vom globalen Erfolg zur globalen Bedrohung:

Das PFAS-Dilemma

PFAS sind ein Dilemma: Auf der einen Seite eine Erfolgsgeschichte, denn die Stoffe erleichtern uns das moderne Leben. Auf der anderen Seite aber eine globale Bedrohung, denn sie sind Ursache für die Gefährdung von Menschen und Ökosystemen. PFAS sind gesundheitsschädlich, sie reichern sich im Körper und in der Umwelt an und gehören zu den langlebigsten (persistentesten) Stoffen, die wir kennen.

1947 beginnt die Firma 3M mit der Massenproduktion von Perfluoroctansäure (PFOA), einem der bekanntesten Vertreter der PFAS, 1951 verwendet die Firma DuPont PFOA zur Herstellung von Teflon. 1952 wird durch Zufall die wasser- und fettabweisende Wirkung von Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) entdeckt, 3M lässt sich das später als Scotchgard patentieren. In den 1960er Jahren entwickeln 3M und die US-Marine „wässrigen filmbildenden Schaum“ (AFFF), einen Brandbekämpfungsschaum, der PFOS und PFOA enthält. Seit den 1970er Jahren wird AFFF weltweit an Militärstandorten, zivilen Flughäfen und Ausbildungszentren für die Brandbekämpfung genutzt.

Recherchen zufolge gibt es in Deutschland sechs Firmen, die PFAS produzieren. Diese Fabriken stehen in Bad Wimpfen (Solvay), in Frankfurt (Daikin), in Leverkusen (Lanxess) und im bayerischen Chemiepark Gendorf bei Burgkirchen an der Alz, wo sich gleich drei PFAS-Produzenten niedergelassen haben (3M, W.L. Gore und Archroma). Die Firma 3M, die in Gendorf produziert, hat angekündigt, bis Ende 2025 aus der PFAS-Produktion auszusteigen. Grund für diese Entscheidung von 3M sind zunehmender regulatorischer Druck sowie Klagen in Milliardenhöhe im Zusammenhang mit den Folgekosten der PFAS-Belastungen der Umwelt.

 

 

PFAS-Beispiele:

  •  Belgien hat einen PFAS-Skandal: Eine monatelange Untersuchung des belgischen Senders RTBF, die am  8. November ausgestrahlt wurde, ergab eine schwere Verunreinigung der Wasserversorgung der Region von Wallonien mit Perfluoralkyl- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS).
  • In Dordrecht muss die Chemiefabrik Chemours für die Schäden haften, die die Gemeinden um sie herum aufgrund der Verschmutzung mit krebserregenden PFAS erlitten haben, wie das Rotterdamer Gericht im September 2023 in einem Zivilverfahren urteilte.
  • Der schwedische Oberste Gerichtshof befindet im Dezember, dass die erhöhten PFAS-Werte im Blut der Kläger ein ausreichender Beweis dafür sind, dass die Kläger einen persönlichen Schaden erlitten haben.
  • Die UN hält PFAS-Verschmutzung in North Carolina für eine Verletzung der Menschenrechte, Versicherungen weigern sich, für PFAS-Schäden zu zahlen und die schwedische NGO ChemSec hält PFAS für das neue Asbest. Man diskutiert über Verursacherprinzip, PFAS-Abgabe und hofft auch auf die Justiz.
  • Und ganz nebenbei warnen die Niederlande vor PFAS in der Meeresgischt und raten, Kinder und Hunde nach dem Schwimmen im Meer abzuduschen; nach einer Studie sind die Konzentrationen der "Forever Chemicals" an der niederländischen Küste vergleichbar mit denen entlang der belgischen Küste. 

 

 PFAS überall

Heute findet man die PFAS überall, von der Teflonpfanne über Fast Food Verpackungen hin zu Outdoor-Kleidung, sogar die Weltraumforschung kommt ohne PFAS nicht aus.

PFAS können während ihres gesamten Lebenszyklus (Herstellung, Verwendung, Recycling oder Abfallentsorgung) in die Umwelt gelangen. Sie verbreiten sich über Luft und Wasser, verteilen sich mit der Meeres-Gischt und wurden sogar im Regenwasser gefunden, wie Wissenschaftler in Ohio-Indiana gemessen haben.

Die fluorierten Chemikalien finden sich überall in Boden und Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser, von dort gelangen sie in Pflanzen und Tiere. Man fand die Stoffe in der Leber von Eisbären, im Plasma von Karettschildkröten und im Plasma von Heringsmöwen, in Forellen und in Hühnereiern.

 

 

Gesundheitsgefährdend und persistent

Die fluorierten Chemikalien sind plazentagängig und werden auch mit der Muttermilch auf die Babys übertragen. Man schätzt, dass wohl 99 Prozent aller Amerikaner messbare PFAS-Werte in ihrem Blut aufweisen und es werden zahlreiche Krankheiten damit in Zusammenhang gebracht. Manche PFAS (1) werden durch Resorption nahezu vollständig aus dem Magendarmtrakt in das Blut aufgenommen, binden unspezifisch an Serumproteine und verteilen sich im Blut und daneben bevorzugt in den inneren Organen wie Leber, Niere und Lunge. Man diskutiert auch über ein erhöhtes Risiko durch PFAS für Asthma, Schilddrüsenerkrankungen, Colitis ulcerosa sowie für Hoden- und Nierenkrebs. Reihenuntersuchungen zeigen auch ein verspätetes Einsetzen der Pubertät, sowie eine verringerte Spermienqualität (2), einen geschrumpften Hoden und kleineren Penis. Eine aktuelle repräsentative Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (3) zeigt auf, dass in Deutschland Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 17 Jahren zu viele langlebige Chemikalien aus der Stoffgruppe der PFAS im Blut haben.

Im November 2023 hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), die Krebsorganisation der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die PFAS Perfluoroctansäure (PFOA) als krebserregend für den Menschen (Gruppe 1) und Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) als möglicherweise krebserregend für den Menschen (Gruppe 2B) eingestuft.

Im Januar 2024 veröffentlichten die NGOs European Environmental Bureau (EEB) und Chemsec die Ergebnisse der PFAS-Blutuntersuchungen von mehreren EU-Politikern. Drei Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, der Umweltkommissar, der Leiter der Europäischen Umweltagentur, ein Vizepräsident des Europäischen Parlaments und weitere fünf Abgeordnete des Europäischen Parlaments  aus einer Vielzahl europäischer Länder wurden auf 13 PFAS  in ihrem Blut getestet. Bis zu sieben PFAS wurden bei allen getesteten Personen in einem Bereich von 3,24 bis 24,66 Mikrogramm/Liter gefunden. Obwohl die EU eines der stärksten Chemikalienkontrollsysteme der Welt hat, sind alle Europäer der "erschreckend hohen" chemischen Verschmutzung ausgesetzt.

„Dies ist eine ernste Verschmutzung und ein Problem der öffentlichen Gesundheit; es ist nicht auf stark verschmutzte Gebiete beschränkt. PFAS sind eine unsichtbare Bedrohung, die die Lebensmittel, die wir essen, das Wasser, das wir trinken, und sogar unsere Häuser durch alltägliche Produkte infiltriert. Die Behörden priorisieren de facto der Industrie die Gier über das Gemeinwohl. Es ist höchste Zeit, dass die EU-Beamten handeln, zukünftige Generationen schützen und die Verursacher für den Schaden verantwortlich machen, den sie verursacht haben“, warnt Tatiana Santos, Leiterin der Chemikalienpolitik am EEB. 

 

 

Dimension der Belastungen

Die tatsächliche bundesweite Dimension der PFAS-Belastung ist unbekannt. Im Februar 2023 veröffentlichte ein  ein internationales Journalisten-Team die Ergebnisse ihres europaweiten Rechercheprojektes "Forever Pollution Project" und man kam auf mindestens 21.000 PFAS-belastete Orte. In Deutschland sind rund 1.500 Stellen mit PFAS belastet, Mittelbaden ist nur eine davon.

Die französische Zeitung "Le Monde" war Teil des Teams und in einem Artikel wurde sehr treffend gesagt:

„Es ist beunruhigend, dass die Aufgabe, die schockierenden Dimensionen der PFAS-Kontamination in Europa aufzudecken, Journalisten zugefallen ist. Wir denken, es hätte in der Verantwortung der europäischen Regierungen und Regulierungsbehörden liegen sollen, früher zu handeln, da die Dimensionen der PFAS-Katastrophe vor mehr als 15 Jahren sichtbar wurden. Der Komfort, der durch die Zugabe von PFAS zu zahlreichen Produkten erzielt wird, rechtfertigt keine große und fast irreversible Kontamination großer Teile der europäischen Gewässer, Böden und der menschlichen Bevölkerung sowie die gesundheitlichen Auswirkungen, die von den kommenden Generationen getragen werden. … Anstatt zufällig PFAS-Kontaminations-Hotspots zu finden, ist es natürlich vorzuziehen, zum Schutz der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt einen systematischen Ansatz zur Identifizierung von PFAS-Kontaminationen zu haben. Im Jahr 2022 entwickelten Wissenschaftler in den USA unter der Leitung von Alissa Cordner vom Whitman College ein Modellierungstool für "mutmaßliche Kontamination", das verwendet wurde, um Bereiche mit wahrscheinlicher PFAS-Kontamination zu lokalisieren, da keine Überwachungsdaten vorhanden waren. Das Tool gilt als von unschätzbarem Wert für zukünftige Überwachungs-, Regulierungs- und Minderungsbemühungen in den USA.“

 

Bei jedem neu gefundenen PFAS-Schadensfall steht man weltweit überall vor den gleichen Fragen:

  • Was und welche Mengen sind in Boden und im (Trink-)Wasser,
  • wie kann saniert werden,
  • wie viele Leute haben PFAS im Blut und
  • wer ist verantwortlich und kommt für die ganzen Kosten auf?
  • Gefolgt von der Frage: Warum sind diese Stoffe eigentlich immer noch nicht hinreichend reguliert?

 

Kann man PFAS-Flächen oder Wasser sanieren?

Ja, natürlich gibt es verschiedene Methoden, um die Chemikalien wieder zu entfernen; aufwändig und in aller Regel sehr teuer.

Trinkwasser wird i.d.R. mit Aktivkohlefiltern oder Filtration gereinigt. Das funktioniert gut, wenn auch die neuen strengen Grenzwerte die Laufzeit von Aktivkohlefiltern verkürzen und die Reinigung dadurch verteuern: Wenn die neuen, sehr strengen PFAS-Grenzwerte für Trinkwasser gelten würden, würde sich dadurch die Laufzeit der Filter von den zweieinhalb Jahren auf 42 Wochen im Wasserwerk Rauental verkürzen. Das sei ein relevanter Kostenfaktor, der da auf die Stadtwerke zukommen würde, erklärt Michael Koch, Abteilungsleiter bei den Stadtwerken Rastatt. Deswegen experimentiert man in Kooperation mit dem Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe bereits mit nachgeschalteten Ionenaustauschern zur weiteren Reinigung, die allerdings auch wieder aufbereitet werden müssten, das Ganze bleibe also teuer. Derzeit wird die mit PFAS-beladene Aktivkohle nach 42 Wochen getauscht beziehungsweise regeneriert, und damit werden bereits die Grenzwerte für PFAS im Rastatter Trinkwasser eingehalten. (Details dazu in der PFAS-Broschüre 2023, S.14ff).

Grundwasser: Auch hier gibt es funktionierende Verfahren wie die Adsorption, Flockung oder Flüssig-Flüssig-Trennung. Auch die Zerstörung der Chemikalien durch direkte Photolyse, photochemische Oxidation oder photokatalytische Oxidation u.a. wird untersucht und erreicht gute Ergebnisse. Es funktioniert aber nicht für alle PFAS und es können sich auch neue PFAS bilden, die ebenfalls persistent sind.

Boden: Auch hier gibt es Ansätze, die Ewigkeitschemikalien aus den Böden zu entfernen wie die Immobilisierung, das Herauswaschen oder die Phytosanierung. Je nach Art der Bodenbelastung funktioniert es mal mehr, mal weniger gut. Offene Fragen bleiben - wie in Mittelbaden.

Man betreibt hier also einen enormen Aufwand beziehungsweise muss ihn betreiben, während die PFAS nach wie vor in die Umwelt gelangen. Eine interessante Frage ist die nach den Kosten:

 

Wer ist verantwortlich und kommt für die ganzen Kosten auf?

Die Industrie offenbar nicht, denn in einem Beitrag in der Tagesschau vom 27.2.2023 heißt es:

"Industrievertreter sieht Bürger in der Pflicht
Thomas Kullick vom Verband der Chemischen Industrie leitete die Arbeitsgruppe für die freiwilligen Maßnahmen und sagte 2022, es sei nur konsequent, "wenn der Bürger für seine Lebensgewohnheiten" und deren Folgen "auch letztendlich finanziell" aufkomme."

Das freut uns in Mittelbaden sehr, denn wir kommen hier auf ganz unterschiedliche Art und Weise für die Folgen der hiesigen flächenhaften PFAS-Belastung auf, auch finanziell (Die geschätzen Kosten liegen aktuell irgendwo zwischen 30 und 40 Millionen Euro).  Man müsste deshalb  ergänzen, dass es allerdings auch nur konsequent wäre, wenn die Industrie für die Produktion und Anwendung der PFAS und deren Folgen ebenfalls finanziell aufkomme würde.  Da das Verursacherprinzip aber oft nicht mehr als ein frommer Wunsch bleibt, ist das angestrebte europäische Verbot für diese Ewigkeitschemikalien zu begrüßen, das von Wissenschaftlern, Behörden, NGO‘s und Betroffenen unterstützt wird.

 

Warum sind diese Stoffe eigentlich immer noch nicht hinreichend reguliert?

Das wird bald hoffentlich anders sein, denn am  7. Februar 2023 hat die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) den Vorschlag für ein Verbot der Herstellung, der Verwendung und des Inverkehrbringens (einschließlich der Einfuhr) von mindestens 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) veröffentlicht. Das vorgeschlagene Verbot wurde im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACH von Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Schweden ausgearbeitet. Aus Deutschland waren die Experten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), des Umweltbundesamtes (UBA) und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) an der Ausarbeitung beteiligt. Jona Schulze vom Umweltbundesamt ist einer von ihnen und hat meine Fragen dazu beantwortet.

Ziel des Verbots ist es, die Freisetzung von PFAS in die Umwelt drastisch zu verringern. Dieser Vorstoß wird sehr kontrovers diskutiert, Chemie-, Industrie- und Medizinverbände sprechen sich gegen eine so umfangreiche Regulierung aus und möchte die Fluorpolymere (eine PFAS-Gruppe, zu ihr gehört z.B. Teflon ) komplett aus der Beschränkung herausnehmen. Andere fordern die Stoff-für-Stoff-Regulierung, bei mehr als 12.000 PFAS ein langwieriges Vorgehen.

„Der vernünftige Weg, das PFAS-Problem anzugehen, besteht darin, sie als Gruppe anzugehen und nicht die einzelnen Stoffe zu betrachten. Denn wenn wir sie weiterhin mit der Geschwindigkeit der letzten 20 Jahre verbieten, werden wir bis zum Jahr 2380 oder so fertig sein“ (Jutta Paulus (MEP, Deutschland), Grüne / Europäische Freie Allianz).

In Amerika gibt es ebenfalls Regulierungsbemühungen, dazu erklärt das Pentagon allerdings gegenüber dem amerikanischen Kongress, man sehe in einer Beschränkung von PFAS eine Gefahr für die nationale Sicherheit, da die Chemikalien nicht nur in Waffensystemen, sondern auch in Lithium-Ionen-Batterien, Hubschraubern, Marineschiffen, Uniformen, Schuhen, Zelten und Seesäcken enthalten seien. 

Die weiteren Entwicklungen einer "Welt ohne Teflon" sind offen.

 

PFAS-Informationen:

 


Links zum Thema:

  • Bundesinstitut für Risikobewertung, u.a. Mitteilungen zu Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS)
  • Di Nisio et al. (April 2019 ) Endocrine Disruption of Androgenic Activity by Perfluoroalkyl Substances: Clinical and Experimental Evidence, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, Volume 104, Issue 4
  • Duffek et al. (July 2020,) Per- and polyfluoroalkyl substances in blood plasma – Results of the German Environmental Survey for children and adolescents 2014–2017 (GerES V), International Journal of Hygiene and Environmental Health Volume 228
  • BRPodcast: Chemikalienverbot - Warum PFAS ein mögliches Ende droht, Birgit Magiera, 16.1.2023
  • BMUV: Fragen und Antworten zu PFAS (abgerufen 23.1.2023)
  •  The Forever Pollution Project: Journalists tracking PFAS across Europe, 23.2.2023
  • "It is crucial that a strong and effective PFAS restriction enter into force as soon as possible', Le Monde, 25.2.2023, updated 27.2.2023
  • Jahrhundertgift PFAS: Auf die lange Bank, Tagesschau, 27.02.2023 04:22 Uhr

PFAS Mittelbaden

PFAS Global

Ja, nein, vielleicht?

PFAS Aktuelles