Fragen an Jona Schulze, Umweltbundesamt

Jona Schulze ist Ökotoxikologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Chemikaliensicherheit beim Umweltbundesamt (UBA) in Dessau. Er hat den PFAS-Beschränkungsvorschlag, der im Februar 2023 an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) übergeben wurde und seitdem sehr kontrovers diskutiert wird, mit anderen Fachleuten aus Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und den Niederlanden erarbeitet. 

Ich habe mit ihm über den Beschränkungsvorschlag und die unterschiedlichen Reaktionen darauf gesprochen.

 

Herr Schulze, die fünf Länder haben fast drei Jahre damit verbracht, die Auswirkungen eines Verbots von PFAS-Chemikalien in einem Dossier zu kartieren, das sich über fast 2.000 Seiten erstreckt. Wie habe ich mir diese umfangreiche Arbeit denn vorzustellen? 2000 Seiten klingt nach sehr gründlicher Arbeit?

Wie schon in der Frage erwähnt, gab es vor der Einreichung des Beschränkungsvorschlags eine umfangreiche Vorbereitungsphase von drei Jahren. Dies umfasste eine Sichtung der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur sowie umfangreiche Recherchen weiterer Informationsquellen (z.B. Unternehmensberichte, Patente, …). In zwei öffentlichen Aufrufen wurden außerdem alle potentiell von der Beschränkung Betroffenen aufgerufen, relevante Informationen für die weitere Ausgestaltung des Beschränkungsvorschlags beizusteuern. Dafür wurden detaillierte Fragebögen entworfen und alle Rückmeldungen ausgewertet. Anschließend wurden aus allen relevanten Informationen vorläufige Berichte zu den verschiedenen Aspekten des Beschränkungsvorschlags (z.B. Besorgnis, Verwendungen & Emissionen, Sozio-Ökonomische Bewertung) verfasst. Aus diesen Berichten wurde dann das Dossier in seiner jetzigen Form zusammengestellt. 
Die genaue Zahl der beteiligten Personen in den fünf Ländern dürfte mindestens im oberen zweistelligen Bereich liegen. Während einige nur in bestimmten Phasen zur Dossier Erstellung beigetragen haben, sind in den beteiligten Behörden zahlreiche Mitarbeiter*innen in den vergangenen Jahren in erster Linie mit der Vorbereitung der Beschränkung beschäftigt gewesen. Hinzu kommen noch Zuarbeiten bei der Datenrecherche durch externe Auftragnehmer.  

 

Von den Industrie-, Chemie- und Medizinverbänden wird nun Alarm geschlagen, ohne die PFAS / Fluorpolymere würde es keine Energiewende, keinen Klimaschutz und auch keine moderne Medizin geben und auch die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Hofmeister-Krauth sagt in einer Presseerklärung: "Offensichtlich sind die bisherigen Planungen der EU ohne die erforderliche Daten- und Informationsbasis erfolgt". Kann man diese Aussagen nach den ganzen Vorarbeiten für den Beschränkungsvorschlag so stehenlassen?

Nein, zu den einzelnen Verwendungen wurde umfangreich recherchiert (siehe auch Frage 1), um eine differenzierte Bewertung zu ermöglichen. Es wird sorgfältig geprüft, für welche Verwendungen Alternativen vorliegen. Die REACH-Verordnung sieht vor, dass für Beschränkungsvorschläge die Verfügbarkeit von Alternativen und die ökonomische Verhältnismäßigkeit zu prüfen sind. Die beteiligten Behörden haben in öffentlichen Aufrufen (s.o.) Informationen angefordert und von vielen betroffenen Interessengruppen Rückmeldungen erhalten. Auf dieser Grundlage werden im Dossier die sozioökonomischen Folgen des Beschränkungsvorschlags abgeschätzt. 
Es werden zeitlich befristete Ausnahmen für Verwendungen vorgeschlagen, für die die verfügbaren Informationen hinreichend belegen, dass ein sofortiges Verwendungsverbot unverhältnismäßige gesellschaftliche Folgen hätte. Für bestimmte Sektoren werden verlängerte Übergangsfristen vorgeschlagen wenn Alternativen noch in der Entwicklung bzw. wenn noch keine Alternativen vorhanden sind. 


Der momentane Beschränkungsvorschlag sieht vor: 
    • 5 Jahre zusätzliche Übergangszeit: Alternativen identifiziert, aber noch nicht verfügbar. 
    • 12 Jahre zusätzliche Übergangszeit: keine Alternativen identifiziert oder längerfristige Zertifizierungs-/ Genehmigungsprozesse. 

Außerdem: Ausnahmen werden nicht vorgeschlagen, aber als potentiell notwendig markiert, wenn Informationen derzeit nicht aussagekräftig oder widersprüchlich sind. Beispielsweise gibt es für die meisten Medizinprodukte im Vorschlag eine zusätzliche Übergangsfrist von 12 Jahren. Die wissenschaftlichen Ausschüsse bei der ECHA überprüfen ihrerseits, ob die vorgeschlagenen Ausnahmen gerechtfertigt sind. 
Betroffene konnten außerdem in der 6-monatigen öffentlichen Konsultation, die bis zum 25. September läuft, weitere Informationen einreichen. Für diese werden die wissenschaftlichen Ausschüsse ebenfalls prüfen, ob diese geeignet sind, Ausnahmen von der Beschränkung zu begründen.   

 

Eine PFAS-Beschränkung erfordert auch eine Gesellschaft, die die notwendigen Änderungen mitträgt - sind Sie / das UBA da optimistisch und gibt es vielleicht auch Industrievertreter, die Ihr Vorgehen mittragen und als ökonomischen Vorteil sehen?

Allgemein ist eine stetig steigende Aufmerksamkeit hinsichtlich der Problematik der PFAS zu beobachten. Das merken wir an zahlreichen Presseanfragen, in denen es um Verbraucherinformationen geht oder auch an der gestiegenen Anzahl von Bürgeranfragen, in denen Unterstützung für eine weitgehende Regulierung geäußert wird, aber auch Informationen angefragt werden, wie kritische Verwendungen ohne Alternativen in dem Beschränkungsprozess berücksichtigt werden.

In der Antwort zu der Frage 2 wurde bereits erläutert, dass im Vorschlag sowie im weiteren Beschränkungsprozess die Verhältnismäßigkeit eines Verwendungsverbots als ein zentraler Aspekt untersucht wurde/wird. Hierfür werden sämtliche verfügbaren Informationen berücksichtigt. Im Rahmen der öffentlichen Konsultationen können sich sämtliche gesellschaftliche Interessensgruppen in den Prozess einbringen und Informationen übermitteln. So  soll sichergestellt werden, dass Beschränkungen nur in den Bereichen erfolgen, in denen Alternativen technisch und ökonomisch verfügbar sind. Wenn die am Beschränkungsprozess beteiligten Akteure (Behörden und wissenschaftliche Ausschüsse) die Gesamtheit an verfügbaren Daten und Informationen auf transparente und nachvollziehbare Weise aufbereiten, dann kann die Europäische Kommission nachvollziehbare Beschränkungsmaßnahmen und Ausnahmen beschließen. 

Es ist bereits absehbar, dass in der derzeit laufenden Konsultation auch zahlreiche zusätzliche Informationen eingereicht wurden/werden, die helfen, den Beschränkungsvorschlag zu präzisieren und für die Gesellschaft nachvollziehbar zu machen. In ihren Beiträgen zur öffentlichen Konsultation wird von vielen Unternehmen und auch Unternehmensverbänden bestätigt, dass ein breiter Beschränkungsansatz gerechtfertigt ist – wenn Ausnahmen für die Verwendungen berücksichtigt werden, in denen Alternativen nicht rechtzeitig verfügbar sind.

Wenige Unternehmen haben auch Informationen zu möglichen ökonomischen Vorteilen einer Beschränkung eingereicht. Ökonomisch profitieren können unter anderem die Hersteller PFAS-freier Alternativen. Dieser Nutzen einer Beschränkung ist aber auf der derzeitigen Datenlage nicht genauer zu ermitteln.   

 

Herr Schulze, haben Sie ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

(1) ECHA publishes PFAS restriction proposal, 07.02.2023, https://echa.europa.eu/-/echa-publishes-pfas-restriction-proposal

#PFAS #PFASdilemma #PFAScommunication #PFASRestrictionproposal

 

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