In der bayerischen Gemeinde Manching in der Nähe von Ingolstadt kämpft die Bürgerinitiative NO PFAS Manching seit Jahren gegen die gravierende PFAS-Kontamination des Grundwassers. Vorsitzende dieser Initiative ist Gudrun Lemle, die sich für die Sanierung und die Aufklärung über die Folgen der Verschmutzung einsetzt. Im Gespräch berichtet sie ausführlich über die Ursprünge der Kontamination, die Hindernisse im Umgang mit Behörden und die internationale Vernetzung im Kampf gegen das „Jahrhundertgift“ PFAS.
"Das Jahrhundertgift darf kein Jahrhundertproblem bleiben"
Frau Lemle, wie und wann wurden sie das erste Mal mit PFAS konfrontiert?
Lemle: 2012 hatten wir erstmals diese Chemikaliengruppe auf dem Schirm. Das Landesamt für Umwelt (LfU) führte damals Untersuchungen von Boden, Grund- und Oberflächenwasser durch. Dabei wurde PFT im Lindacher Weiher nachgewiesen. Wir erfuhren darüber aus unserer Lokalzeitung und dem Manchinger Anzeiger. PFT - perfluorierte Tenside - niemand von uns hatte je davon gehört oder wusste auch nur ansatzweise etwas über mögliche Gefahren. Doch das sollte sich in den Folgejahren entscheidend ändern.
Danach hörten wir fast drei Jahre nichts mehr und die Sache schien in Vergessenheit zu geraten. Die anfangs ferngeblieben Badegäste kehrten zurück und auch ich schwamm dort im Sommer wieder täglich meine Bahnen. Sicher lag das auch daran, dass man die Chemikalien weder sehen, riechen noch schmecken kann. Denn hätte man eine übel stinkende und ekelerregende Brühe vor sich gehabt, hätte niemand mehr auch nur die kleine Zehe reingesteckt. So glaubten wir den Aussagen, dass die Chemikalien nicht über die Haut aufgenommen würden und selbst beim Verschlucken von Wasser keinerlei Gefahr für Leib und Leben bestünde.

Im Jahr 2015 tagte dann der Manchinger Gemeinderat. Auf der Tagesordnung stand „PFC“, wie PFT dann genannt wurde. Damit kam wieder Bewegung in die Angelegenheit und die Besorgnis der Bevölkerung nahm wieder zu. 2017 fand in Manching erstmals eine Informationsveranstaltung des Landratsamtes Pfaffenhofen/ Ilm statt, in der neben grundsätzlichen Erläuterungen zu PFC, der Sachstand am Flugplatz Manching sowie das weitere Vorgehen aufgezeigt wurden. Wir Bürger bekamen Gelegenheit, unsere brennenden Fragen und Anliegen vorzubringen. Wirklich beruhigt ging niemand nach Hause.
2018 erließ das Landratsamt Pfaffenhofen/Ilm als Untere Bodenschutzbehörde für die Ortsteile Westenhausen und Lindach eine Allgemeinverfügung und untersagte die erlaubnisfreie Nutzung von Grund- und Oberflächenwasser bis 30.04.2032. Dieses Gießverbot brachte das Fass endgültig zum Überlaufen und war Anlass zur Gründung der Bürgerinitiative.
Was macht die BI Manching konkret und wie stellt sich die aktuelle Situation dar? Wie kam es überhaupt zu der PFAS-Belastung in Manching?
Lemle: Wie bei vielen militärischen Liegenschaften in Deutschland ist auch beim Manchinger Flugplatz die Ursache der Belastung im jahrzehntelangen Einsatz PFAS-haltiger Löschschäume, hauptsächlich bei monatlichen Übungen, aber auch bei einer Handvoll an Ernstfällen, zu finden. Dies führte zu insgesamt 16 großflächigen Verunreinigungen auf dem 625 ha großen Flugplatzgelände, primär an den drei sog. Hotspots: „Alte Feuerwache“, „Südbahn“ und „Feuerlöschübungsbecken“. Über eine nordöstlich verlaufende Schadstofffahne gelangten die Chemikalien (hauptsächlich PFOS, PFNA, PFHxS) über das Grundwasser und die Westenhauser Ach in die betroffenen Manchinger Ortsteile Westenhausen und Lindach.
Unsere BI wurde als lokale zivilgesellschaftliche Bewegung gegründet, um auf die Belastung durch per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen im Raum Manching (Landkreis Pfaffenhofen/Ilm) aufmerksam zu machen und vor allem wirksam dagegen vorzugehen. Als gemeinnützig eingetragener Verein betreiben wir PFAS-Aufklärung und Information einer breiten Öffentlichkeit - auch über unsere Region hinaus - u. a. über unsere Homepage und Facebook über die Gruppe „PFAS News Manching“ wo wir Berichte aus der ganzen Welt zusammentragen.
Die Sensibilisierung der Bevölkerung über Aufzeigen der Gefahren von PFAS in Boden, Wasser, Luft,Lebensmitteln und Alltagsgegenständen sowie Verbreitung von wissenschaftlich fundierten Informationen über Herkunft, Risiken und mögliche Langzeitfolgen der Ewigkeitschemikalien auch mittels Ständen bei Verkaufsoffenen Sonntagen, durch Informationsveranstaltungen und Mahnwachen sind ein wirksames Vorgehen dabei.

Wir schaffen Transparenz zu Ergebnissen offizieller Untersuchungen, Gutachten und Berichte, sorgen für regelmäßige Trinkwasseruntersuchungen und haben mit unserer vehementen Forderung einer Abstromsicherung maßgeblich zum Bau der Grundwasserreinigungsanlage entlang der Nordbahn beigetragen. Besonderes Augenmerk legen wir auf eine gute Vernetzung mit anderen Bürgerinitiativen in ganz Deutschland und darüber hinaus. Seit längerem arbeiten wir als Vertreter der bayerischen Interessen in einer
bundeslandübergreifenden PFAS-Arbeitsgruppe gemeinsam mit BUND-Vertretern aus RLP, Hessen und NRW zusammen. Wir beteiligen uns an überregionalen Kampagnen gegen „Ewigkeitschemikalien“ oder schieben selbst welche an.
PFAS im Boden, Wasser – und im Blut
2022 verfassten wir einen Brandbrief zum PFAS-Verbot und zur Umsetzung des REACH-Prozesses in eine EU-Verordnung, der durch weitere Mitstreiter aus Pfaffenhofen, Manching und Neuburg/Donau mitgezeichnet wurde. Vor dem Petitionsausschuss der EU-Kommission fand hierzu erstmals am 23.10.2023 und am 27. Januar 2025 eine persönliche Anhörung per OnlineZuschaltung statt. Im Ergebnis wurde unsere Petition weiterhin offen gehalten. Auch das Verfassen und Einreichen von kritischen Leserbriefen sehen wir als wichtige Aufgabe.
Seit Jahren schreiben wir Journalisten mit der Bitte an, ein breites Publikum auf das PFASProblem hinzuweisen. So stießen wir u. a. eine Recherche des NDR an und sind dankbar für den daraus resultierenden Beitrag „Das Jahrhundertgift“, der vielen Zuschauern erstmals die Problematik ins Bewusstsein gerückt hat.
Besondere Aufmerksamkeit schenken wir der Aneignung von PFAS-Wissen, weshalb wir an Altlastensymposien, Wasserseminaren, Online-Workshops, etc. teilnehmen, um auf neuestem Stand zu sein. Ein einschneidendes Erlebnis war unsere Vorführung der Dokumentation „The Devil We Know“ über den PFOA-Skandal der Firma DuPont in Parkersburg/West Virginia.
Aktuell stellt sich die Situation so dar, dass seit Frühjahr 2025 die Grundwasserreinigungsanlage am Flugplatz Manching im Regelbetrieb läuft. Per Pump-and-Treat-Maßnahme wird das belastete Grundwasser über insgesamt sieben Entnahmebrunnen der Anlage zugeführt, mithilfe von Aktivkohlefiltern in einem speziellen Verfahren gereinigt und anschließend über Rigolen dem Grundwasserkörper wieder zugeführt. Bis sich dies jedoch auf unser Grundwasser in den Ortsteilen spürbar auswirkt, werden noch etliche Jahre vergehen.

Es gab bereits 2018 private PFAS-Blutuntersuchungen der BI – warum privat und was ist danach passiert?
Lemle: Es wurden Blutuntersuchungen von einigen Bürgern privat durchgeführt und aus eigener Tasche bezahlt. Pauschal lässt sich sagen, dass in alle genommenen Proben PFAS nachgewiesen wurden. Bundeswehr wie LGL haben die Durchführung eines Humanbiomonitorings für unsere Bürger abgelehnt. In diesem Zusammenhang stößt bitter auf, dass wir zufällig über die Drucksache 18/21522 des Bayerischen Landtags v. 01.04.22, Ziff. 1b erfuhren, dass das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) im Auftrag des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege eine Studie zum Monitoring von PFAS in humanen Plasmaproben in Bayern durchgeführt hat. Hier ging es u. a. um die Region Manching im Vergleich zur Kontrollregion Wolnzach. Zielsetzung der Studie war es, zu ermitteln, ob eine erhöhte Umweltbelastung durch eine spezifische PFAS-Kontamination in der Region Manching zu einer erhöhten inneren Belastung der dortigen Bevölkerung führt.
„Wir mussten selbst aktiv werden“
Weder das Landratsamt Pfaffenhofen/Ilm, noch der Markt Manching oder die Bürger von Westenhausen und Lindach, welche Fische aus den belasteten Gewässern, Obst und Gemüse aus den verunreinigten Gärten gegessen hatten, wurden im Vorfeld über die Möglichkeit einer Teilnahme im Rahmen der Blutspendetermine informiert. Lediglich eine einzige teilgenommene Person stammte aus dem PFAS-Gebiet im Abstrom des Flugplatzes. Hier drängt sich unwillkürlich der Verdacht auf, dass wissenschaftliche Studien bewusst in eine entsprechende Richtung gelenkt werden, indem die Zielgruppe „verwässert“ wird.
Sanierung mit Hindernissen
In Bezug auf die Sanierung des Grundwassers und die Verantwortungsübernahme: Wie ist der aktuelle Stand der Gespräche mit der Bundeswehr und den anderen Verantwortlichen? Gibt es Fortschritte?
Lemle: Uns, ebenso wie der Bundeswehr, ist an einer guten Nachbarschaft sehr gelegen. Die Bundeswehr hat sich unbestritten frühzeitig als Verursacher bekannt. Von uns wirft niemand der Bundeswehr vor, den bis 2011 erlaubten Löschschaum verwendet zu haben. Ob dies auch im Rahmen monatlich abgehaltener Übungen mit je etwa 800 Litern Verbrauch unbedingt nötig gewesen ist, lasse ich mal dahingestellt; zumal die Umweltschädlichkeit spätestens seit der EU-Richtlinie 2006/122/EG vom 12.12.2006 allen Anwendern bekannt gewesen sein dürfte.
Wenn auch auf unseren Druck, so wurde doch freiwillig vonseiten des Verursachers der Verzicht auf Einrede der Verjährung für Manching und Neuburg/Donau bis 31.12.2028 erklärt. Ebenso aus freien Stücken, wie vonseiten der Bundeswehr stets betont, wurde die Abstromsicherung gebaut und in Betrieb genommen. Eine Sanierung der außerhalb des Flugplatzareals liegenden verunreinigten Gebiete wird jedoch kategorisch abgelehnt. Diese Bürde wird den Grundstückseigentümern auferlegt.

Ähnlich verhält es sich bei der Empfehlung auf Verzehr von Fischen aus Gewässern im Abstrom des Flugplatzes zu verzichten. Die Verantwortung für gesundheitliche Vorsorge wird damit dem Sportfischer zugeschoben. Der Angler entscheidet selbst darüber, ob und wieviel Fisch er isst. Verbindliche Verbote werden selbst dann kaum ausgesprochen, wenn PFAS-Werte über bestimmten Schwellenwerten liegen, es sei denn es geht um in den Verkauf gehenden Fisch.
Insgesamt sind 17 Behörden am Altlastenprogramm in Manching beteiligt. Dieser riesige Verwaltungsapparat entpuppt sich in der Praxis gerade beim Zeitfaktor als Hemmschuh, wo Siebenmeilenstiefel angesagt wären. Obwohl in Manching allein etwa 5,5 Millionen Euro an Sanierungskosten anfallen, gelten seitens der Bundeswehr PFAS-haltige Schäume zur Brandbekämpfung bei Ernstfällen immer noch als erste Wahl. Das erscheint uns unverständlich, da einige Flughäfen längst auf fluorfreie Alternativen mit vergleichbar guter Löschwirkung umgestiegen sind. Wir sehen es als Fortschritt, dass von über 100 auf mögliche PFAS-Verunreinigungen untersuchten Standorten der Bundeswehr in Manching die erste Grundwasserreinigungsanlage gebaut wurde. Vergleichbares findet sich in Deutschland nur auf dem vom US-Militär betriebenen Kasernengelände in Katterbach/LK Ansbach.
Rückblickend auf die Anfänge unseres Widerstandes kann man sagen, dass unsere Anfragen heute rascher und ausführlicher beantwortet werden. Dennoch werden immer noch zuviel Phrasen verwendet oder Fragen „elegant“ umschifft, indem man sich hinter Aussagen verschanzt wie „… die Abläufe entsprechend der geltenden Gesetze und Regelungen erfolgen“. Das setzen wir eigentlich grundsätzlich voraus, dass sich auch der Staat an geltende Gesetze und Bestimmungen hält.
Verantwortung? Fehlanzeige.
Wie beurteilen Sie das Verhalten der Verantwortlichen bei Bundeswehr, Industrie oder Politik – gibt es ein Schuldeingeständnis oder Schadensersatz?
Lemle: Leider fehlt es bei Bundeswehr, Industrie und Politik weitgehend an echter Verantwortung, Schuldeingeständnissen oder angemessenem Schadensersatz. Dabei werden Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen zerstreut. Systematische Entschädigungsprogramme fehlen ebenso, wie eine rechtliche Verpflichtung der Verursacher, sich an Sanierungskosten zu beteiligen. Behördenkommunikation gestaltet sich oft zögerlich, intransparent oder ausweichend. Sanierungen werden meist nur dort eingeleitet, wo unmittelbare Gefahr nachgewiesen werden kann oder nach öffentlichkeitswirksamem Druck von außen.

Betroffene werden dagegen mit den kausalen Problemen weitgehend allein gelassen und bleiben auf Ihren finanziellen Schäden und Gesundheitsrisiken sitzen. Aus unseren Ortsteilen haben Geschädigte ihre Schadensersatzforderungen zwar beim Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleitungen der Bundeswehr (BAIUDBw) in Bonn eingereicht, bis dato jedoch noch keinen einzigen Cent erstattet bekommen. Hierzu erklärte die Bundeswehr auf Nachfrage, dass jedem Antrag auf Verzicht der Einrede der Verjährung weiterhin unbürokratisch stattgegeben werde, aber aufgrund der noch nicht abschließend geklärten Rechtslage bisher keine Regulierung erfolgen könne.
Sie haben bereits internationalen Austausch gepflegt, unter anderem mit einer Gruppe aus Japan, die ebenfalls mit PFAS-Belastungen zu kämpfen hat. Was war das Ziel dieses Austauschs und was haben Sie daraus mitgenommen?
Lemle: Ja, 2024 besuchte uns auf Initiative von Dr. Roland Weber (POPs-Umweltberater) eine fünfköpfige japanische Delegation im Rahmen eines internationalen PFAS-Erfahrungsaustauschs mit Schwerpunkt auf PFAS-kontaminierte militärische Einrichtungen in Deutschland und Schweden. Im Gegensatz zum Militärflugplatz Manching, der durch die Errichtung der Abstromsicherung eine Vorreiterrolle in Sachen Sanierung in Deutschland einnimmt, finden in Japan bislang keinerlei Sanierungen statt.
In 3,5 Stunden intensivem Informationsaustausches, in der wir unsere Situation samt Widerstand aus der Bevölkerung darlegten, erfuhren wir im Gegenzug mithilfe einer Präsentation von Herrn Masayoshi Soejima (Japanisches Umweltministerium) interessante Details zur japanische PFAS-Problematik (Tokio/Osaka/Okinawa). Er zeigte beeindruckend den Konflikt auf, der sich aus Trinkwasser- und Grundwasserbelastung hinsichtlich japanischer Kultur und religiösen Bräuchen ergibt. So werden noch heute Babys mit Wasser aus PFAS-kontaminierten heiligen Quellen getauft.

Wir erfuhren ferner, dass unsere weiteren Gäste Dr. Yamashita und Dr. Taniyasu dem Team angehörten, welches erstmals PFAS-Messungen in den Weltmeeren vorgenommen hat. Im Gegensatz zu unseren 16 Behörden sind in Japan 6 Ministerien bei Umweltverschmutzungen beteiligt. Auch in Japan tut man sich schwer mit der Umstellung auf fluorfreie Alternativen oder mit der Erstellung eines PFAS-Zeitplans für den Ausstieg.
Dagegen wird PFAS-Monitoring in ganz Japan durchgeführt. Ein großes Problem stellt die zunehmende Wasserknappheit für sauberes Trinkwasser dar. Hier wird es regional schwierig, die PFAS-Werte unter 50 ng/Liter zu halten. Dieser Wert wird dort hinsichtlich einer direkten Aufnahme beim Trinken und zur Verwendung beim Kochen als kritisch angesehen.
Abschließend blieb die bittere Erkenntnis, dass sich PFAS zu einem globalen Umweltmonster entwickelt hat, welches die Menschheit noch viele Jahrzehnte beschäftigen wird. Die positive Kommunikation hat aber auch gezeigt, wie unverzichtbar Vernetzung und gegenseitiger offener Austausch sind.

Globale Bedrohung – globaler Austausch
Wie ist der Austausch mit der italienischen Gruppe „Mamme No PFAS“? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es in den Erfahrungen der beiden Gruppen?
Lemle: Wir sind vor Jahren aufgrund eigener Recherche auf diese italienische Gruppe gestoßen, die in den sozialen Netzwerken sehr präsent ist. Seitdem läuft unsere Kommunikation vorzugsweise online über eine nach Italien ausgewanderte Deutsche, die dabei als Übersetzerin fungiert. Der bisher weltweit größte Fall einer Verseuchung des Trinkwassers mit PFAS im italienischen Venetien betrifft 350.000 Menschen. Viel zu lange wurde die Kontamination seitens der Behörden verschwiegen und wissentlich eine Erkrankung der Bevölkerung in Kauf genommen.
Die dortigen Frauen fingen nach Bekanntwerden des Skandals an, sich zu organisieren und, ebenso wie wir in Manching - wo erfreulicherweise kein Trinkwasser betroffen ist, den Verantwortlichen unnachgiebig die Stirn zu bieten. Die Initiative Mamme No PFAS ist weltweit vernetzt mit Menschen, die gegen PFAS kämpfen, während sich unsere Kontakte hauptsächlich auf den europäischen Raum beschränken. Unterstützung erhält Mamme No PFAS durch renommierte Organisationen; sogar der berühmte US-Anwalt Robert Billot (Fall DuPont) sagte als Zeuge vor Gericht aus. Ein kürzlich ergangenes Urteil erhielt viel Beachtung und könnte wegweisend für andere Fälle in der EU werden.
Wir sind uns darüber einig, dass wir auf europäischer Ebene alle zusammenhalten müssen, wenn wir Gesetze erreichen wollen, welche die Verwendung von PFAS weiter einschränken - einschließlich eines Verbots zumindest für alle nicht-essenziellen Verwendungen.
Halten Sie die bestehenden PFAS Informationen für die Allgemeinheit für ausreichend und gut verständlich?
Lemle: Medienberichte über PFAS waren lange Zeit spärlich oder technisch schwer verständlich. Erst in den letzten Jahren, seit etwa 2020, hat das Thema bei öffentlich-rechtlichen Sendern, Printmedien und Dokumentationen gehörig Fahrt aufgenommen. Dennoch sehen wir bei der aktuellen kontinuierlichen, aufklärenden Berichterstattung deutlich Luft nach oben. Die Kommunikation bei Themen wie Mikroplastik oder Glyphosat erscheint uns wesentlich präsenter und greifbarer.

Bisher werden Medienbeiträge u. E. größtenteils von Betroffenen oder Menschen wahrgenommen, die sich beruflich mit PFAS beschäftigen. Die Allgemeinheit weiß immer noch viel zu wenig über diese Chemikaliengruppe. Selbst hier bei uns in Manching, wo die PFAS-Verunreinigung seit vielen Jahren thematisiert wird, bekundete eine Mehrheit an unseren Infoständen: „Davon habe ich noch nie etwas gehört“.
Ideal wäre schon eine Aufnahme in den Lehrplan an Schulen. Durch die Behandlung im Chemie- und Physikunterricht könnten Schülerinnen und Schüler ein tieferes Verständnis für chemische Stoffe, deren Eigenschaften, Anwendungen und Umweltauswirkungen entwickeln und über entsprechende Projekte für Nachhaltigkeitsfragen sensibilisiert werden. PFAS wird oft in einem Fachjargon erklärt (z. B. “C8-Kette”, “persistente organische Schadstoffe”, “toxikokinetisch relevant”), was für Laien oft nicht nachvollziehbar ist. Sie interessiert vielmehr, ob sie ihr Leitungswasser bedenkenlos trinken, ihre Tomaten mit Genuss essen und ihre Kinder, ohne dabei Schaden zu nehmen, das Obst aus dem eigenen Garten naschen können.
Bei den PFAS-Grenzwerten, Richtwerten und Schwellenwerten herrscht dann aus nachvollziehbaren Gründen Verwirrung auf ganzer Linie. Es gibt zig verschiedene Werte, die für unterschiedliche Kontexte gelten, sich ständig ändern und zudem unterschiedlich kommuniziert werden. Hier müssen selbst Fachleute genau hinsehen. Verschärft wird das Ganze durch uneinheitliche Regelungen zwischen Ländern und Behörden, wenn EU, Bund, Länder, WHO, EFSA, UBA teils unterschiedliche Schwellenwerte setzen. Manche Werte beziehen sich nur auf einzelne PFAS (z. B. PFOA, PFOS), andere auf die Summe mehrerer Stoffe z. B. ∑ PFAS-4, ∑ PFAS-20. Deshalb sehen wir explizit die PFAS-Grenzwert-Kommunikation zwar als technisch korrekt, aber für die Allgemeinheit eher unbrauchbar.
Solidarität statt Einzelkampf
Kennen Sie andere Bürgerinitiativen in Deutschland, die sich mit den Folgen einer PFAS-Belastung auseinandersetzen? Wie findet man sich da überhaupt, es gibt ja keine Listen oder ähnliches?
Lemle: Eine enge Zusammenarbeit und der Austausch mit anderen PFAS-Bürgerinitiativen in Deutschland wie beispielsweise IG PFAS Penzing, BINT Altötting, IG PFAS Neuburg, Etz langt’s Ansbach, aber auch in Italien mit Mamme NO PFAS Veneto, ist für uns von unschätzbarem Wert. Die Verunreinigungen erfolgen auf vielfältige Art und Weise. Ebenso unterschiedlich wie die Verursacher sind somit die Auswirkungen und Verfahrensweisen bei einem bestätigten PFAS-Verdacht.
Im Zeitalter der Digitalisierung ist es natürlich einfacher geworden, gleichgesinnte Betroffene ausfindig zu machen, denn Listen gibt es meines Wissens nicht. Wir sind selbst aktiv geworden, haben andere Initiativen angeschrieben oder angerufen und uns vorgestellt. Eine breite Vernetzung war uns von Anfang an äußerst wichtig - je mehr Akteure, umso mehr Wissen und Gehör.

REACH: Hoffnung auf ein EU-weites PFAS-Verbot
Die Wirtschaftsministerkonferenz hat sich gegen ein pauschales Verbot der PFAS ausgesprochen. Was sagen Sie zu der geplanten PFAS-Beschränkung?
Lemle: Der im Rahmen der europäischen Chemikalienverordnung REACH eingebrachte Vorschlag zur PFAS-Beschränkung, der eine komplette Chemikaliengruppe betrifft, ist weltweit beispiellos und nach unserem Empfinden aus Umwelt- und Gesundheitssicht dringend notwendig, weshalb wir diesen begrüßen.
Dass sich die Wirtschaftsministerkonferenz gegen ein pauschales Verbot ausgesprochen hat, ist bedauerlich und verkennt unseres Erachtens die Dringlichkeit der Lage. Hier geht es nicht um ein pauschales Totalverbot ohne Augenmaß, da der Vorschlag Ausnahmen und Übergangsfristen von bis zu 12 Jahren vorsieht. Zudem existieren für viele Anwendungen längst Alternativen oder sie sind nicht zwingend notwendig. Die Wende zu einer nachhaltigen Chemieindustrie muss kein Standortnachteil sein, sondern kann durchaus als Zukunftschance für Innovation und Verantwortung gesehen werden. PFAS gehören nicht in unser Wasser, unseren Boden, schon gar nicht in unseren Körper oder in eine moderne, nachhaltige Zukunft.
Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft schauen könnten, was würden Sie sich im Hinblick auf PFAS wünschen?
Lemle: Bis zum Jahr 2035 wäre es wünschenswert, dass …
Ich persönlich würde mir von Herzen mehr Unterstützung durch mutige Entscheidungen für eine saubere und sichere Zukunft wünschen. Dazu die Erkenntnis, dass sauberes, bezahlbares Wasser für Globus und Menschheit unverzichtbar ist und keine Utopie sein muss, wenn alle am gleichen Strang ziehen.
Frau Lemle, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.
Fotoquelle: Alle Fotos sind von der BI Manching zur Verfügung gestellt worden.
Weitere Informationen zu der BI Manching finden Sie hier 👉 : PFC-Messstelle Manching. (n.d.). Pressearchiv. https://pfc-manching.de/pressearchiv/