Habe ich PFAS im Blut? Bin ich betroffen?

Das ist für viele Menschen in der PFAS-Region in Mittelbaden leider keine theoretische Überlegung, sondern eine ganz konkrete Frage. Drei Blutuntersuchungen in den letzten sieben Jahren geben Antworten darauf.

Die erste Runde war im Jahr 2018, die zweite im Jahr 2020 und die dritte Runde der PFAS-Blutuntersuchungen begann im Juni 2023, voraussichtlich die letzte Untersuchungsrunde. Das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg führte die Studie gemeinsam mit dem Gesundheitsamt Rastatt durch, um zu überprüfen, ob die Konzentration von PFAS im Blut der Bevölkerung weiter gesenkt werden konnte. Der Endbericht soll 2025 veröffentlicht werden.

PFAS im Blut, sieben Jahre im Überblick

Die erste Untersuchung im Jahr 2018 war durch den Einsatz der Bürgerinitiative "Sauberes Trinkwasser für Kuppenheim" angestoßen worden. Die BI hatte in Eigenregie Studien beauftragt und hohe PFAS-Werte im Blut der Teilnehmer festgestellt. „Erst danach wurden die Behörden auch aktiv“, erinnert sich Ulrich Schumann, der Vorsitzende der Bürgerinitiative.

Auf Drängen der Bürgerinitiative hatte das baden-württembergische Gesundheitsministerium die Blutuntersuchungen beauftragt, um die PFAS-Belastung im Blut in der Region systematisch zu erfassen. Insgesamt nahmen 338 Personen aus drei Gebieten teil – darunter Regionen mit belastetem Trinkwasser (Gruppe A), belastetem Boden und Grundwasser (Gruppe B) sowie unbelastete Kontrollgebiete (Gruppe C), s. Infobox.

Blutabnahme einer Betroffenen zur PFAS-Untersuchung, Foto privat

Die zweite Phase der Studie startete im September 2020. Von den ursprünglich 348 Probanden kamen nur 165 erneut zur Blutabnahme – eine Teilnahmequote von unter 50 Prozent. Weitere Teilnehmer wurden aus dem Melderegister rekrutiert, sodass letztlich 249 Personen an der zweiten Runde teilnahmen. Die Ergebnisse sind seit September 2021 öffentlich einsehbar:

👉 Zur Auswertung der Blutkontrolluntersuchung 2020/2021 (PDF)

Es zeigte sich bei den Untersuchungsrunden: Wer früher PFAS im Trinkwasser hatte, hat heute immer noch PFAS im Blut. Allerdings nahmen die Werte von der ersten zur zweiten Untersuchung ab, das heißt, dass keine weitere Anreicherung stattfand und dass die Gegenmaßnahmen der Trinkwasserversorger ganz offensichtlich erfolgreich waren. Trotzdem überschritten noch  77 Prozent der Teilnehmer aus Gruppe A den HBM-II-Wert (eine vom Umweltbundesamt gesetzte gesundheitliche Schwelle). 

HBM-II-Wert: Der HBM-II-Wert entspricht der Konzentration eines Stoffes in einem Körpermedium, bei deren Überschreitung eine für die Betroffenen als relevant anzusehende gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist.

Für die dritte Runde wurden 410 Teilnehmer der beiden vorherigen Blutuntersuchungen angeschrieben. 266 Personen meldeten sich davon für die aktuelle zurück. Ihre Proben wurden im Labor des Instituts und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ausgewertet, sind aber noch nicht veröffentlicht.


Was passiert bei Überschreitungen des HBM-II-Wertes?

Das Umweltbundesamt empfiehlt in solchen Fällen:

🧪Maßnahmen zur Reduktion der Belastung,
 👩‍⚕️umweltmedizinische Beratung,
🔁 sowie regelmäßige Kontrolluntersuchungen.

In Mittelbaden wurden bereits Schritte zur Reduktion der Belastung eingeleitet: Das Trinkwasser in der Region wird gereinigt, das Vor-Ernte-Monitoring wurde ausgebaut, und die Lebensmittelüberwachung intensiviert. 

Aktivkohlefilter im Wasserwerk Ottersdorf zur Trinkwasserreinigung
In diesen großen Behältern wird das Trinkwasser im Wasserwerk Ottersdorf mit Aktivkohle gereinigt, Foto Klatt

 

Betroffene fühlen sich allein gelassen

Claudia S. aus Kuppenheim gehört zu der Gruppe, die jahrelang belastetes Wasser trank. „Das Leitungswasser hält zwar mittlerweile alle erlaubten Werte ein“, so S.. Sie hat aber als persönliche Konsequenz und zur Risikominimierung anfangs komplett auf Leitungswasser verzichtet und ist auf Flaschenwasser umgestiegen, „das waren jeden Tag alleine eineinhalb Liter für den Tee“. 

Anfangs habe sie auch zum Kochen Flaschenwasser genommen, mittlerweile bereite sie Nudeln und Kartoffeln wieder mit Leitungswasser zu.  Eine gewisse Unsicherheit ist aber vorhanden. „Es ist aus meiner Sicht einfach zu viel Vertrauen verspielt worden“, findet S., die Informationen seien ihres Erachtens nicht ausreichend kommuniziert worden.

Noch bei der zweiten Runde überschritten ihre Gehalte für PFOA  (ein PFAS) die unbedenklichen Werte. Ob ihre Autoimmunerkrankung daher kommt, kann S. nicht abschätzen, hält es aber für denkbar, „das gehört zu den möglichen Folgen einer PFAS-Belastung“. Und dass in ihrem Umfeld so viele Leute erkrankt sind, ist für sie auch nicht beruhigend. Blasenkrebs, Lymphome, Darmkrebs oder auch Darmentzündungen und Schilddrüsenprobleme– ob das nun auf PFAS zurückzuführen sei, wisse sie natürlich nicht. 

Aber man hätte entsprechende Fragen nach Erkrankungen bei den jetzigen Untersuchungen  doch stellen müssen, so S.. Stattdessen sei es bei dem begleitenden Fragenkatalog zu den Blutuntersuchungen nur darum gegangen, was man gegessen und getrunken habe.

Sie fordert eine statistische Aufbereitung der Daten, „ein Autoimmun-Register, gibt es hier Häufungen von Erkrankungen, welche Querverweise kann man möglicherweise ziehen? Das dürfte doch heutzutage kein Problem sein, das entsprechend aufzubereiten“, so diese Betroffene. 

Schon nach der zweiten Blutuntersuchung hätte sie sich auch die Beratung durch einen Umweltmediziner gewünscht, weil ihre Werte eben nahe der bedenklichen Grenzen lagen. Sie habe viele Fragen gehabt und keinen Ansprechpartner, „man überlegt dann doch, woher kommt deine Krankheit, man ist verunsichert und fühlt sich im Stich gelassen“. Und obwohl zu erwarten ist, dass die  PFAS-Blutwerte aufgrund der Trinkwasserreinigung  weiter sinken werden, bleiben für Claudia S. Fragen offen. 

 Keine individuelle medizinische Beratung?

„Aufgrund der weiten Verbreitung von PFAS in Umweltmedien und Nahrungsmitteln werden wohl nahezu alle Bundesbürger messbare Konzentrationen von PFAS in ihrem Blut haben“, erklärt die Stabsstelle PFAS am Regierungspräsidium in Karlsruhe auf Nachfrage. Eine umweltmedizinische Beratung werde es hier nicht geben,  denn die habe zum Ziel, die Quelle der Belastung zu erkennen und zu beseitigen. Das sei in Mittelbaden mit der Reinigung des Trinkwassers geschehen.

Beratungsgespräch beim Arzt
Beratungsgespräch bei einem Umweltmediziner; so könnte es angeboten werden, Foto KI-generiert

Auch zu Methoden zur individualmedizinischen Behandlung von Symptomen oder Erkrankungen könne von Seiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes keine Beratung erfolgen. Diese obliege den behandelnden Haus/Fachärzten oder Umweltmedizinerinnen und Umweltmedizinern. Es gäbe zwar erste Versuche, einige PFAS gezielt durch die Gabe eines Resorptionshemmers für Cholesterin zu binden, aber da stehe die Wissenschaft am Anfang.

Lesen Sie 👉 hier mehr zu den gesundheitlichen Folgen einer PFAS-Belastung (PFAS-Global, PFAS: Gesundheitsgefährdend und krebserregend)

PFAS-Informationsveranstaltung für Ärzte der Region

Im Februar 2025 fand im Landratsamt Rastatt eine PFAS-Infoveranstaltung für Ärzte statt. Ein Vertreter des  Sozialministeriums stellte die Ergebnisse der ersten beiden Blutuntersuchungen vor und Privatdozent Dr. med. Jürgen Hölzer, Abteilung für Hygiene, Sozial- und Umweltmedizin an der Ruhr-Universität Bochum gab einen Überblick über PFAS und die Gesundheit. „Die Entwicklung der gesundheitlichen PFAS-Beurteilung in den letzten 20 Jahren war mir dabei sehr wichtig“, betonte der Fachmann. „Die PFAS haben zwar keine akute Gefährlichkeit; wie das langfristig aussieht, ist aber eine ganz andere Sache“, so Hölzer.

Er betonte, dass die Grenzwerte für PFAS in Trinkwasser und Lebensmitteln aufgrund neuer Erkenntnisse in den letzten Jahren drastisch gesenkt wurden. Die Untersuchungen in Mittelbaden hält er für sinnvoll. „Aber es bleibt die Frage, was man dann mit den Erkenntnissen macht und welche Konsequenzen man daraus zieht“. Das Wichtigste ist für Hölzer die Minimierung der Belastung, denn „diese Stoffe gehören nicht in den menschlichen Körper und sie gehören auch nicht in die Exposition“.

Gesundheitsminister Manne Lucha unterstützt PFAS-Beschränkung

Auf die Frage, wie Gesundheitsminister Lucha angesichts der quasi täglich wachsenden Erkenntnisse über die gesundheitliche Relevanz der PFAS den bei der ECHA von 5 Ländern eingereichten Beschränkungsvorschlag aller PFAS (ausgenommen gesamtgesellschaftlich notwendige) sieht, antworte mir seine Pressestelle am 7.2.2025:

"Die gemeinsame Regelung der PFAS als Gruppe ist aus Sicht des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes zu befürworten. Sie verhindert, dass nach Verbot eines Stoffes auf einen weiteren Stoff dieser Gruppe ausgewichen werden kann, dessen gesundheitsschädigendes Potential aufgrund fehlender Studien noch nicht bekannt ist. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten nicht gefährdet wird, weshalb die Notwendigkeit eines differenzierten Regulierungsrahmens betont wird." 


Nach Aussage der Pressestelle des Sozialministeriums vom Mai 2025 ist es geplant, die Ergebnisse der dritten Runde nach Fertigstellung des Berichtes und Abstimmung mit den beteiligten Behörden im Herbst 2025  dem Expertenkreis vorzustellen. Anschließend sollen sie analog zu den letzten beiden Studienrunden als Bericht über die Website des Sozialministeriums zugänglich gemacht werden.

Ulrich Schumann, ebenfalls Mitglied des Expertenrates, ist "gespannt auf die Ergebnisse, aber auch irritiert, wieso man für die Auswertung zwei Jahre braucht. Ich hoffe, dass man uns das erklären wird", so Schumann.

📝🖋️Über die Entwicklungen der Blutuntersuchungen in Mittelbaden werde ich jedenfalls hier weiter berichten.

 

Infobox: 

Die Blutkontrolluntersuchung im Landkreis Rastatt wurde als wiederholte Querschnittsuntersuchung in drei Gruppen mit je circa 100 zufällig ausgewählten Personen konzipiert. Die erste Untersuchung fand im Jahr 2018 statt, die zweite Untersuchung im Jahr 2020, die laufende Untersuchung startete im Jahr 2023. Damit möchte das Sozialministerium die zeitliche Entwicklung der PFAS-Konzentrationen im Blut der an der Untersuchung teilnehmenden Personen beschreiben und einschätzen.

Die Teilnehmer waren/sind in drei Gruppen eingeteilt:

  1. Gruppe A: zufällig ausgewählte Personen aus Orten, die vor 2014 einer PFAS-Exposition über Trinkwasser ausgesetzt waren,
  2. Gruppe B: zufällig ausgewählte Personen aus Orten mit Exposition über Belastungen im Boden und Grundwasser, ohne Exposition über Trinkwasser aus der öffentlichen Wasserversorgung,
  3. Gruppe C: zufällig ausgewählte Personen aus Orten ohne zusätzliche PFAS-Belastung im Boden oder Trinkwasser.

 

Hintergrundkasten:

HBM-I- und HBM-II-Werte für PFAS einfach erklärt:

Die Human-Biomonitoring-Werte (HBM-Werte) des Umweltbundesamts geben an, welche Konzentration chemischer Stoffe im Blut gesundheitlich unbedenklich ist. Es sind für die beiden PFAS Perfluoroctansäure (PFOA) und Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) solche Werte festgelegt:

HBM-I-Wert: 
Unterschreitet die Konzentration diesen Wert, sind keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten. Für PFOA beträgt er 2 µg/l, für PFOS 5 µg/l Blutplasma.

HBM-II-Wert: 
Wird dieser Wert überschritten (PFOA: 10 µg/l, PFOS: 20 µg/l), ist gesundheitlicher Handlungsbedarf gegeben. Für Frauen im gebärfähigen Alter gelten strengere Werte.

Handlungsbedarf bei Überschreitung des HBM-II-Wertes:
Dazu können zählen: Ärztliche Beratung, Minimierung der PFAS-Belastung und langfristige Gesundheitskontrolle. Bei deutlicher Überschreitung rät das Umweltbundesamt zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, da PFAS im Körper lange verbleiben können.

 

© Patricia Klatt

 

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