In den 194oer Jahren beginnt die Firma 3M in Amerika mit der Massenproduktion von Perfluoroctansäure (PFOA), einem der bekanntesten Vertreter der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen, kurz PFAS. Der Grundstein für eine Stoffgruppe, die Feuer und Chemikalien widersteht und  die Zeit überdauert, war gelegt: die „Superhelden der Chemiewelt“ betraten die Bühne und verbreiteten sich seitdem weltweit. Im Umweltausschuss des Bundestages wurde am 24. April 2024 über Vor- und Nachteile der PFAS-Welt diskutiert; was wissen die Politiker und was nicht?

Die dunkle Seite der PFAS-Welt

Heute gibt es mehr als 12.000 verschiedene PFAS mit unterschiedlicher Struktur und unzähligen Einsatzbereichen, von Zahnseide über Kosmetik, Teflonpfannen, Endoskopen, Lithium-Batterien, Windrädern, Waffen hin zu Luft- und Raumfahrt. PFAS sind universell verwendbar, aber nach mehr als 80 Jahren leider auch global in Menschen und Ökosystemen nachweisbar. Denn die Stoffe sind persistent und „für die Ewigkeit“ gemacht.
Und das ist die dunkle Seite der imprägnierten Welt, das PFAS-Dilemma; denn PFAS sind nicht nur unsere ewigen Begleiter, sondern sie sind auch gesundheitsschädlich und krebserregend. Deswegen sind einige bereits reguliert, um Mensch und Umwelt zu schützen. Diese Regulierung erfolgt bislang risikobasiert und Stoff für Stoff; in den letzten 16 Jahren wurden auf diese Weise zehn PFAS von 12.000 erfasst.

Deshalb liegt nun der Vorschlag einer Gruppenregulierung auf dem europäischen Tisch: PFAS ja, aber nur in den Verwendungen, die man heute noch nicht ersetzen kann. Was angesichts der unkontrollierbaren globalen PFAS-Belastung erst einmal gut klingt. 

PFAS: Verwendung, Folgen, PFAS-Verbot und PFAS-freie Alternativen

Das große „Im Prinzip ganz nett, aber...“ kommt von den Industrie-, Chemie- und Medizinverbänden, die den PFAS-Beschränkungsvorschlag in dieser Form ablehnen.

Darüber wurde nun am 24. April 2024 im Umweltausschuss des Bundestages von PolitikerInnen und neun Sachverständigen/Innen der Pro- und Contra-Lager zwei Stunden lang diskutiert. Die gesamte Sitzung sowie die jeweiligen Positionspapiere sind in der Mediathek des Umweltausschusses online gestellt. 

Warum sollte man sich für PFAS interessieren?

Warum sollte man sich überhaupt für diese PFAS interessieren und was soll eine weitere Sitzung mit der Darlegung der unterschiedlichen Positionen bringen? Beide Fragen lassen sich leicht beantworten:

Man sollte sich für PFAS interessieren, weil sie in uns und um uns herum sind, und diese Diskussionsrunde zeigte einmal mehr, wie es aussieht, wenn Theorie und Praxis aufeinanderprallen. Die ausführlichen Darlegungen sind der Ausschussaufzeichnung zu entnehmen.

Und sie ließ mich etwas ratlos zurück, diese Diskussionsrunde.

 

Bild Bundestag mit Text dazu


Pro Beschränkung

Die anwesenden Befürworter des Beschränkungsvorschlages sind Teil des NGO‘s-Universitäten-Betroffenen-Netzwerkes, die sich mit den realen Folgen der PFAS-Belastung auseinandersetzen (müssen).  Deshalb kamen von dort auch Argumente wie

  • PFAS sind unbeherrschbar und müssen an der Quelle reguliert werden – so schnell und so weitreichend wie möglich.
  • In der Realität haben wir über 70 Jahre PFAS-Emissionen, solange die Produktion weiter geht, wird das auch weiter steigen. Das heißt, diese Entwicklung fällt uns auf die Füße, wie eine Zeitbombe, die explodiert ist, und wir müssen jetzt entsprechend handeln.
  • Die sogenannte risikobasierte Einzelstoffbewertung ist für das PFAS-Problem nicht geeignet, dieses Vorgehen ist für das große Problem der PFAS zu langsam. Mit dem Wissen von heute hat man genug Gründe, diese Stoffe schon jetzt zu regulieren.
  • Wenn hier die Forderung aufgestellt wird, man möge bitte risikobasiert arbeiten, dann muss ich fragen, welcher Toxikologe kann ein Risiko abschätzen, wenn er nicht einmal weiß, um welche Substanz es sich handelt, geschweige denn, dass er überhaupt einen Analysenbefund dafür sieht?
  • Die OECD hat darauf hingewiesen, dass die Untersuchungen hinsichtlich Fluorpolymeren längst noch nicht beendet sind und dass es nicht stimmt, dass die FP „of low concern“ sind.
  • Der Fall Rastatt - in einer ZDF-Dokumentation sogar als Umwelt Crime bezeichnet. Wir haben im Landkreis Rastatt 1100 Hektar mit PFAS belastete Flächen, einen Flickenteppich mit einem PFAS-Potpourri. Übertroffen werden wir nur von der PFAS-Belastung rund um Gendorf.
  • Der Landkreis Rastatt ist von einer großflächigen PFAS-Belastung betroffen, deswegen  hat der Landkreis auch eine Stellungnahme pro Beschränkung verfasst, parteiübergreifend und einstimmig!
  • Eine 15-jährige Übergangsfrist ist lang, in diesem Zeitraum kam beispielsweise Tesla auf den Markt
  • Solange es keine europaweiten Verbote gibt, wird es keine Alternativen geben. Auf einen geordneten Ausstieg kann man sich in der Industrie einstellen – oder man kann stattdessen  sagen: es gibt gar kein Problem.

 

kaffeetasse mit Schrift

 

Contra Beschränkung

Aus der Reihe derer, die den vorliegenden PFAS-Beschränkungsvorschlag in dieser Form ablehnen, war zu hören:

  • Undifferenzierter und pauschaler Ansatz,  großer Aufklärungsbedarf über die Folgen. Fluorpolymere (FP) unverzichtbar, OECD-Polymers of low concern.
  • Gendorf: nach 60 Jahren gerade die dortige Anlage beispielhaft dafür zu sehen, wie eine zukunftsorientierte Produktion aussehen kann Produktionsanlage weltweit und die modernste ihrer Art in Deutschland, sondern auch größte Anlage in Europa mit dem breitesten Produktspektrum.
  • In Gendorf eine abwasserfreie Produktion konzipiert, ohne jegliche PFAS-Emissionen in die Umwelt. Zusammen mit der weltweit ersten / einzigen Anlage zum Upcycling von FP ist das ein entscheidender Meilenstein zur Rohstoff- und Energieeffizienz. Neue Weltstandard für Umgang mit Fluorkunststoffen.
  • Beschränkungsvorschlag wird dem Ganzen nicht gerecht und er sollte deswegen zurückgezogen und überarbeitet werden. In einer Überarbeitung müsste dann ein Ansatz gewählt werden, der die verschiedenen Eigenschaften der verschiedenen Kategorien besser berücksichtigt und auch die Verfügbarkeit von Alternativen realistisch widerspiegelt.
  • Im Umweltschutz reden wir über Nachhaltigkeit, wir reden von Dingen die lange halten, diese PFAS, die langlebig sind, sind ein Baustein von der Langlebigkeit der Produkte.
  • Wir brauchen mehr Forschung, auch über die Toxikologie, wir wissen zu wenig, das ist Fakt.

Dazu kam eine Demonstration, dass sich eine mit Teflon überzogene Resektionselektrode in einem Glas mit Wasser nicht auflöst, Rasierschaum aber schon. Das erste könne man bedenkenlos trinken, das zweite nicht. Die Botschaft dahinter blieb rätselhaft.

Der Sachverständige hätte ja vielleicht auch einfach plakativ den Wasserhahn aufdrehen können, um PFAS-haltiges Wasser im Glas zu haben. So wie es Millionen Menschen weltweit erfahren müssen, weil die fluorierten Chemikalien im Wasser sind. Wurde das Trinkwasser in Berlin eigentlich schon überprüft?

Windmuehle-und-windraeder
Windmühle neben Windrädern, Foto Klatt

PFAS-Parallelwelt?

Sowohl die Statements als auch die Diskussion brachten im Grunde genommen wenig Neues. Was mich bei den Diskussionen allerdings erstaunte, war, dass Niemand sein Bedauern über Belastung und immense Folgen und Kosten von 80 Jahren PFAS ausdrückte.

Stattdessen bekam man aufgezählt, was passieren würde, wenn man eben nicht so weitermachen könne wie bisher auch,  hörte von risikobasiert und low concern. Die Industrie-etc.-Vertreter schienen dabei auszublenden, was in den letzten 80 Jahren durch eben jene Vorgehensweise für PFAS-Belastungen von Menschen und Umwelt hervorgerufen wurden. „Wenn wir das jetzt beschränken, löst das ihr Problem in Rastatt auch nicht“.

Auch die geschlossene Produktion und das Upcycling von FP warfen bei mir die Frage auf, wieso das nicht schon längst weitergehend umgesetzt wurde und ob so etwas eventuell doch nur mit politischem Druck geht? Und wenn der Industriepark Gendorf schon als Vorbild für geschlossene Kreisläufe genommen wird, könnte man ja auch darauf hinweisen, dass es dort trotzdem eine enorme Belastung gibt?

Die Idee, sich auf die Entsorgung der Produkte zu konzentrieren, Hersteller  und Handel sollten die Produkte zurücknehmen und dann thermisch verwerten, ist allerdings ein interessanter Aspekt. Ebenso wie der Vorschlag nach einer Fond-Lösung, die ich schon seit acht Jahren fordere, bislang vergeblich.

Zeitungsartikel

PFAS-Wünsche

Ich hatte während dieser Diskussion das Gefühl, in einer Parallelwelt zu leben, PFAS-Region Mittelbaden eben, was ein gesundes Misstrauen gegenüber den perfekten, einfachen Industrielösungen mit sich bringt.

Ich hätte mich sehr gefreut über die Industrie-etc.-Vertreter, die in dieser Diskussion gesagt hätten: „Mist, das ist jetzt alles wirklich dumm gelaufen mit den PFAS, wieviel Geld braucht ihr für Sanierungen, wieviel für Kläranlagen und Wasserwerke? Wir beteiligen uns an den Kosten, schließlich haben wir an den PFAS bis jetzt richtig gut verdient, wir unterstützen die Beschränkung und reden nicht nur davon, was die Industrie für Nachteile dadurch hat, sondern werden alles tun, um die PFAS-Belastung in der Zukunft zu senken“. 
Oder, wie Kant es sagte: Sapere aude „Wage es, weise zu sein“ :)

Aber dann würde ich wohl in der Prinzessin Lillifee-Straße im Gummibärenland leben – wie Valerie Niehaus so treffend in der heute show bemerkte:
„PFAS, ein ernstes Problem, zum Schaden unserer Kinder und Enkel, wenn wir alle weiterleben in der Prinzessin Lillifee Straße im Gummibärenland“, klärt Valerie Niehaus die Kinder dort auf.
„Die Piefasse, die würden eeewig bleiben“, so Niehaus „und wenn die Kinder nun einfach etwas ohne die Piefasse oder Pofasse kaufen wollten - geht leider nicht, liebe Kinder. Die sind überall drin, ihr solltet Angst haben, liebe Kinder, vor allem wegen PFAS“. Das Problem werde erst gelöst, wenn wir durch die Piefasse alle unfruchtbar sind und keine kleinen Lobbyisten mehr zeugen, ist Niehaus überzeugt.

 

Weiterer Link: Cordner et al., The true cost of PFAS and the benefit of acting now, Environ. Sci. Technol. 2021, 55, 18, 12739

 

© Patricia Klatt


 

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