PFAS in Mittelbaden: Jahresrückblick 2023
Ewige Gifte in Böden, Wasser und Blut, warum gab es auch 2023 keine Lösung?
Und was haben Kohlmeisen und Skiwachse damit zu tun?
Seit mehr als zehn Jahren sind 1105 Hektar Böden und 58 Quadratkilometer des Grundwassers zwischen Rastatt und Bühl mit einer Mischung diverser Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) samt deren Vorläufermolekülen belastet. Ursache ist die Aufbringung von mutmaßlich belastetem Papierschlamm-Kompost auf die Äcker.
Eine umfangreiche Übersicht findet sich in der PFAS-Broschüre (1), eine kürzere Version in einem Fachartikel von Analytik News (2) und ein kurzes Resümee gibt es in einem Artikel der Badischen Neuesten Nachrichten vom 31.12.2023 (3).
PFAS in Mittelbaden
Das Jahr 2023 begann, wie 2022 geendet hatte – mit PFAS in Boden und Wasser, Managementmaßnahmen in der Landwirtschaft, Einschränkungen bei Feld- und Gartenbewässerung, Reinigung des Trinkwassers, viel Forschung und einer verbesserten Kommunikation für die Betroffenen.
Folgen der Belastung sind unter anderem: Managementmaßnahmen, hohe Kosten, Bluttests, Forschung, Kooperation und Kommunikation (PFAS-Broschüre & PFAS-Newsletter, (1), (7)).
- Kosten: 30-40 Millionen auf der nach oben offener Skala
- Zahlt der Verursacher? Nein, natürlich nicht.
- Dauer des Skandals: Frühe 2000er Jahre bis in die nächsten Generationen?
PFAS-Management
„Die PFAS-Belastung in Mittelbaden ist sowohl von ihrer räumlichen Dimension als auch von der Dauerhaftigkeit einmalig in Baden-Württemberg und wird die Nutzung der natürlichen Ressourcen Wasser und Boden in der Region leider auch für die nächste Generation beinträchtigen. Eine flächenhafte Sanierung ist nach derzeitigem Wissensstand nicht möglich, der Fokus liegt daher auf einem dauerhaften Management des Umgangs mit Wasser und Boden in der Region, das mit aufwändigen Maßnahmen den Verbraucherschutz im Bereich Trinkwasser und Lebensmittelproduktion sicherstellt“, so die Stabsstelle PFC am Regierungspräsidium Karlsruhe auf meine Nachfrage .
„Die eingeführten Managementmaßnahmen greifen“, betont Reiner Söhlmann, der Leiter der PFAS-Geschäftsstelle am Landratsamt in Rastatt. Dazu zählen das Vor-Ernte-Monitoring (VEM) mit immer weniger Beanstandungen oder auch die Maßnahmen der regionalen Wasserversorger mit Aufbereitungsanlagen und neuen Verbundleitungen. Den ab dem Jahr 2026 geltenden Trinkwasser-Grenzwerten kann man gelassener entgegensehen. Details dazu kann man in der PFAS-Broschüre (1) ab Seite 14 nachlesen.
Auch die Überprüfung von Grundwassermessstellen, die Untersuchung der Oberflächengewässer und die Vorgaben zur Gartenbewässerung oder Nutzung der Beregnungsbrunnen, die jedes Jahr aktualisiert werden, sind heute Routine. Ebenso wie die Betreuung bei Bauvorhaben mit PFAS-Böden; in diesem Jahr wurde dafür mit deren Lagerung im Salzbergwerk in Stetten eine weitere Entsorgungsmöglichkeit gefunden. Nach einer Lösung für die Kieswerksbetreiber wird allerdings nach wie vor gesucht.
Die Einhaltung der europaweit gültigen PFAS-Grenzwerte für Lebensmittel wird kontrolliert. Wildschweinleber ist danach auch in diesem Jahr nicht zum Verzehr geeignet, und für Fische gibt es Verzehrempfehlungen. Angelvereine stehen nach wie vor vor der Frage, was kann ich wo angeln und was mache ich mit dem Fang?
Die digitale Datenerfassung mittels GIS wurde weiter ausgebaut. Bis heute hat Markus Lempert, der Leiter des Sachgebiets Geoinformation im Amt für Flurneuordnung, Geoinformation und Vermessung im Landratsamt Rastatt 9900 Grundwasser-Analysen, 1239 Oberflächengewässer-Analysen, 8189 Bodenproben, 2196 Pflanzenproben und 966 Ergebnisse des Pflanzen-Screenings in das Geoinformationssystem eingepflegt und dadurch die PFAS-Belastung greifbar gemacht und visualisiert. „Das Ganze ist einfach eine ungeheure Arbeitserleichterung und Zeitersparnis“, betont Reiner Söhlmann.
PFAS-Forschungen
Die Ergebnisse der BWPlus-Forschungsprojekte PROSPeCT, SiWaPFC und FluorTech wurden im Februar auf der Seite der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW,(4)) veröffentlicht, im April folgen die von PFAS-Immo.
Gleichzeitig starteten im Jahr 2023 auch neue Projekte wie die dritte Runde der PFAS-Blutuntersuchungen sowie die neuen Forschungsprojekte PFClean und FABEKO. Außerdem wurde der Abschlussbericht der gemeinsam mit dem LfU Bayern durchgeführten „Untersuchungen zum Transportverhalten von PFAS aus Papierschlämmen in Großlysimetern“ (5) veröffentlicht.
ZeroPM (6), das bereits im Herbst 2021 startete, lief im vergangenen Jahr weiter; ZeroPM zielt darauf ab, die Umwelt und die menschliche Gesundheit vor persistenten Stoffen wie den PFAS zu schützen. In dem Projekt arbeiten 15 Partner aus 10 europäischen Ländern zusammen, darunter auch das Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe sowie das Landratsamt Rastatt. ZeroPM wird aus Mitteln des Forschungs- und Innovationsprogrammes Horizon2020 der Europäischen Union mit einer Gesamtsumme von 11,6 Millionen Euro gefördert und hat eine Laufzeit von 5 Jahren.
PFAS vor Gericht
Die Klagen der Stadtwerke Rastatt vor den verschiedenen Gerichten dauern an.
„Die Klage gegen die Kompostfirma ist nach wie vor beim Landgericht Baden-Baden anhängig. Das Gericht hat die Einholung eines Sachverständigengutachtens beschlossen. Derzeit läuft die Suche nach einem geeigneten Gutachter, die sich leider unnötigerweise hinzieht, da der Beklagte einen zunächst vom Gericht berufenen Sachverständigen abgelehnt hat. Ich hoffe, dass dieses Gutachten im Laufe des kommenden Jahres auf den Tisch kommt und für weitere Klarheit sorgt“, erläuterte Olaf Kaspryk, der Geschäftsführer der Stadtwerke Rastatt auf meine Nachfrage.
„Die gegen das Land erhobene Klage auf Aufnahme der flächenhaften Verunreinigung des Grundwassers mit PFC im mittelbadischen Raum zielt ab auf eine anhand konkreter Maßnahmen bestmöglich koordinierte Bekämpfung dieser Verunreinigung, durch die der chemische Zustand des Grundwassers nachhaltig beeinträchtigt ist. Ich erwarte hier im Laufe des kommenden Jahres Klarheit, zumal eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Behörden Grundvoraussetzung für die Bewältigung eines Schadensfalles ist, der wegen seiner Dimension bundes- und europaweit Aufmerksamkeit erregt“, so Kaspryk.
PFAS-Kooperation und -kommunikation
Seit Bekanntwerden des Schadenfalls besteht die Zusammenarbeit aller betroffenen Behörden von den Umweltbehörden über die Landwirtschaftsverwaltung bis zum Sozialministerium über alle Verwaltungsebenen hinweg, so auch im letzten Jahr. „Das ist einer der Kernmerkmale des bislang erfolgreichen Managements und der Sicherstellung des Verbraucherschutzes in der Region“, betont die Stabsstelle PFC, die hier als Kommunikationsstelle konzipiert ist.
Mit Behörden in anderen Bundesländern bestehen zahlreiche Kontakte und Kooperationen im Rahmen von Forschungsprojekten, z.B. mit dem Bayerischen LfU oder dem LANUV in Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberg ist darüber hinaus in länderübergreifenden Gremien vertreten z.B. bei der Ausarbeitung des bundesweiten PFAS-Leitfadens oder den Arbeitsgruppen des Umweltbundesamtes zur Ausarbeitung von PFAS-Schwellenwerten. „Die Zusammenarbeit ist kooperativ geworden, ohne gegenseitige Anschuldigungen und Forderung an die Behörde über die Presse, wie es am Anfang noch war“, betont Reiner Söhlmann.
Überregionales Netzwerken und die Teilnahme an Workshops und Kongressen sind selbstverständlich geworden und nicht zu unterschätzen, so nahmen Vertreter der hiesigen Behörden beispielsweise im vergangenen Jahr im Februar an dem ZeroPM-Workshop in Göteborg oder auch im August an der Internationalen Tagung Fluoros 2023 in Idstein teil.
Auch die Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerinformation hat sich den Betroffenen in der Region mit der Aktualisierung der PFAS-Broschüre (1) und dem neuen PFAS-Newsletter (7) „angenähert“ und bietet einen niederschwelligeren Zugang zu der hochkomplizierten Materie.
PFAS-Kosten: 40 Mio. Euro
Die PFAS-Kosten steigen weiter und haben auf der nach oben offenen Skala nun rund 40 Mio. Euro erreicht, davon entfallen allein auf die Trinkwasserversorger mehr als 26 Mio. Euro. Bis Ende 2023 konnten insgesamt über 7 Mio. Euro an Fördermitteln für die kommunalen Wasserversorger der Region bewilligt werden. Die Investitionen werden weiter steigen, da beispielsweise die Stadtwerke Rastatt aufgrund der PFAS-Grundwasserfahne nach dem Wasserwerk Rauental auch das Wasserwerk Ottersdorf umbauen müssen. Aber die Maßnahmen der Wasserversorger greifen, „das Trinkwasser in Rastatt kann von jedermann bedenkenlos direkt aus dem Hahn getrunken werden. Es erfüllt alle Qualitätskriterien der Trinkwasserverordnung“, betonen die Stadtwerke Rastatt auf ihrer Homepage.
Darüber hinaus belaufen sich die aufgrund der PFAS-Problematik entstandenen Kosten auf Kreis- und Landesebene, etwa für Untersuchungsprogramme, Pilotprojekte oder Maßnahmen zum Verbraucherschutz, auf rund 13 Mio. Euro. Personalkosten sind dabei noch nicht eingerechnet, ebenso wenig wie die Kosten der Gemeinden und von Privatpersonen.
PFAS-Ausblicke und Wünsche für 2024
PFAS sind kein spezifisch mittelbadisches Problem, sondern man findet die gesundheitsschädlichen Chemikalien weltweit in Menschen und in Ökosystemen.
In Europa sollen sie deshalb verboten werden, was man in der Region begrüßt. „Diese Ankündigung eines kompletten PFAS-Verbotes hat für sehr große Aufmerksamkeit gesorgt. In seiner Sitzung vom 26. September hat der Ausschuss für Umwelt, Bau und Planung des Landkreises Rastatt Stellung zum europäischen PFAS-Beschränkungsvorschlag (8) bezogen und hat sich einstimmig über alle Parteigrenzen hinweg für den Beschränkungsvorschlag ausgesprochen“, betont Reiner Söhlmann. Auch die Agrar- und Verbraucherschutzministerkonferenz und die Internationale Gewässerschutz-Kommission des Bodensees unterstützen übrigens den PFAS-Beschränkungsvorschlag.
Die Landesregierung Baden-Württemberg hat letztendlich nach langem Hin und Her einen Konsultationsbeitrag zum PFAS-Beschränkungsvorschlag erarbeitet. In der fünfseitigen Stellungnahme wird an erster Stelle genannt, dass ein hohes Schutzniveau für Mensch und Umwelt sichergestellt und insbesondere gewährleistet sein soll, dass der Eintrag von PFAS in die Umwelt vermieden beziehungsweise minimiert wird. Außerdem werden geschlossene Kreislauf- und Produktionssysteme gefordert.
Reiner Söhlmann würde sich für das Jahr 2024 die „Fortführung von VEM und Monitoring Maßnahmen ohne Diskussion über Zuständigkeiten und Finanzierung, abnehmende PFAS-Werte im Blut der Mittelbadener sowie Sanierungsverfahren, die alle Probleme lösen“ wünschen.
Für die Stabsstelle PFC ist „die PFAS-Belastung in Mittelbaden sowohl von ihrer räumlichen Dimension als auch von der Dauerhaftigkeit einmalig in Baden-Württemberg und sie wird die Nutzung der natürlichen Ressourcen Wasser und Boden in der Region leider auch für die nächste Generation beinträchtigen.“
Und was ist nun mit den Kohlmeisen und Skiwachsen?
In der Thematik „PFAS in Mittelbaden“ werden die ökologischen Konsequenzen in der Öffentlichkeit wenig thematisiert. Aber es steht außer Frage, dass nicht nur Landwirtschaft und Menschen betroffen sind, sondern auch die Tiere in der Region.
Eine belgische Arbeitsgruppe fand mögliche Auswirkungen von PFAS auf bestimmte Stoffwechselprozesse bei Kohlmeisen, die in der Nähe einer fluorchemischen Anlage leben. Auch Studien an Schnecken, Zebrafischen oder Rattenjungen legen nahe, dass die Exposition gegenüber PFAS den oxidativen Status dieser Tiere beeinflusst (9).
In Skigebieten gelangen PFAS-haltige Skiwachse mit der Schneeschmelze in den Boden oder in Gewässer und von dort über die Nahrungskette in die Tiere wie Mäuse oder Fische (10).
Kohlmeisen und Skigebiete gibt es auch in Mittelbaden, vergleichbare Untersuchungen natürlich nicht, allerdings spricht wenig dafür, dass man bei uns zu anderen Ergebnissen kommen würde.
Dafür hofft man in Bühl auf die Rückkehr des Kiebitzes und Großen Brachvogels in die dortigen PFAS-Sanierungsgebiete. Durch den Abtrag von PFAS-belasteten Böden sind Mulden von 60 Zentimeter bis zu einem Meter tief entstanden, die für die beiden Vogelarten interessant sein könnten (11).
So lässt sich allgemein festhalten, dass viele Fragen hinsichtlich des Umweltverhaltens und der Toxikologie der PFAS auch in diesem Jahr weiter offen sind und ein Ende der PFAS-Belastung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, weder in Mittelbaden noch anderswo.
Links:
(1) Klatt, P. (Juli 2023) Online-Broschüre „PFAS in Mittelbaden – Auf der Suche nach Lösungen, Juli 2023“, https://pfas-dilemma.info/pfas-broschueren/63-pfas-broschuere-update-2023
(2) Klatt, P. (20.04.2023) Der "Rastatt Case" - PFAS für Generationen, Analytik.News, Fachartikel 2023, https://analytik.news/fachartikel/2023/17.html
(3) Klatt, P. (31.12.2023) PFAS in Mittelbaden: Ein Skandal, der bleibt? Badische Neueste Nachrichten, https://bnn.de/mittelbaden/rastatt/ewigkeitschemikalien-pfas-in-mittelbaden-ein-skandal-der-bleibt
(4) Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, PFAS-Wegweiser, Forschungsvorhaben, https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/en/boden/pfas-wegweiser
(5) Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU), (Oktober 2023), Untersuchungen zum Transportverhalten von PFAS aus Papierschlämmen in Großlysimetern, Abschlussbericht, https://www.lfu.bayern.de/publikationen/get_pdf.htm?art_nr=lfu_all_00177
(6) ZeroPM, Zero Pollution of Persistent, Mobile Substances, https://zeropm.eu/
(7) PFAS-Newsletter des Landratsamtes Rastatt, https://www.landkreis-rastatt.de/landratsamt/aemteruebersicht/umweltamt/pfc
(8) ECHA publishes PFAS restriction proposal, 07.02.2023, https://echa.europa.eu/-/echa-publishes-pfas-restriction-proposal
(9) Buytaert, J. et al., (15.10.2023) Associations between PFAS concentrations and the oxidative status in a free-living songbird (Parus major) near a fluorochemical facility, Environmental Pollution, Volume 335, 2023, https://doi.org/10.1016/j.envpol.2023.122304
(10) Krapf, C. (11.03.2023), Vom Engadin Skimarathon bleiben giftige Rückstände von fluorhaltigen Skiwachsen zurück – umweltverträgliche Alternativen setzen sich nur stockend durch, Neue Züricher Zeitung, https://www.nzz.ch/sport/vom-engadin-skimarathon-bleiben-giftige-rueckstaende-von-fluorhaltigen-skiwachsen-zurueck-umweltvertraegliche-alternativen-setzen-sich-nur-stockend-durch-ld.1729457
(11) Stadt Bühl, PFAS-Sanierungsprojekt, https://www.buehl.de/de/Stadt-Buerger/Umwelt-Mobilitaet/Umwelt/PFC/PFC-Sanierungsprojekt
© Patricia Klatt
(Text und Fotos, ©Zeichnung Kohlmeise und Kiebitz: Martin Klatt)