Mit PFAS durch das Jahr 2023

Mein persönlicher Rückblick

PFAS 2023: Das bewegte sich für mich zwischen Regenwald, InDesign, Lehre, Schreiben, Streiten, Politik,  Aktivkohlefiltern und Kohlmeisen. Da PFAS mittlerweile überall zu finden sind, fiel es schwer, PFAS-frei unterwegs zu sein. Sogar im Urlaub an der holländischen Nordsee waren die Chemikalien mein treuer Begleiter…

 Eine kleine Auswahl, nach Monaten geordnet:
 

Januar:

Die Europäische Kommission hat aufgrund wachsender Erkenntnisse neue Grenzwerte für die zulässigen Höchstwerte für vier langkettige PFAS in Lebensmitteln veröffentlicht. In Mittelbaden gibt es künftig zwei Kontrollen: Die Einhaltung der bislang schon geltenden Beurteilungs(BUW)-Werte wird wie bisher im Vor-Ernte-Monitoring und Lebensmittelkontrollen überprüft. Zusätzlich müssen die Behörden die Einhaltung der neuen europäischen Grenzwerte kontrollieren.

Februar:

Der Monat hat es in sich: Warum es auch ein Leben ohne PFAS geben kann, diskutieren Vertreter aller Richtungen zwei Tage lang auf dem ZeroPM-Workshop am 7. und 8. Februar in Göteborg. Dies ist mein erster Workshop 2023, und dort höre ich nicht nur  PFAS-Neuigkeiten, sondern  lerne nebenbei auch einen Mini-Regenwald im Universeum in Göteborg kennen.

Zeitgleich reichen Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden und die Niederlande den umfangreichen PFAS-Beschränkungsvorschlag bei der ECHA ein, der auch in Göteborg diskutiert wird. Welche Firmen sind vorbereitet und was müssen die Wasserversorger tun? Die Diskussionen sind „lebhaft“. Im Tagesspiegel erscheint ein bemerkenswerter Artikel dazu.

Ende Februar veröffentlicht ein europäisches Rechercheteam die Ergebnisse des Forever Pollution Projektes inklusive einer interaktiven Karte mit Orten von bekannten und vermuteten PFAS-Belastungen. Dort finden sich die Papierfabriken wieder, die unseren Komposthändler belieferten – dürfen die Namen nun endlich genannt werden?
Ebenfalls im Februar findet ein Webinar der schwedischen NGO ChemSec statt: „Are PFAS in your products?“ Ich bin gespannt.

März:

Der Inhaber eines Haushaltswarengeschäfts in Bühl beantwortet Fragen zu Teflonpfannen und den Konsequenzen aus der kommenden PFAS-Beschränkung. Fazit: Alternativen sind bereits verfügbar und niemand braucht auf das Braterlebnis zu verzichten.   
Ein weiteres ChemSec-Webinar informiert über „The biggest chemicals legislation in years“.
PFAS sind Thema bei Christian Ehring in der Sendung Extra 3: „Hält trocken und ewig“.

April bis Juni:

Meine diesjährige Lehrredaktion im Studiengang „Wissenschaft-Medien-Kommunikation“ am KIT beginnt, das Thema sind dort zum dritten Mal die PFAS. Und wieder haben die Studierenden nichts davon gehört: „Ganz ehrlich? Einfach wirklich gar nichts!“  Wir machen PFAS-Vor-Ort-Exkursionen, stellen Presseanfragen und gestalten eine Broschüre mit InDesign; nicht nur die Studierenden stöhnen leise.

Meine Übersicht über den aktuellen Stand der Dinge im „Rastatt-Case“ erscheint in Analytik News.

ChemSec bietet Ende Mai ein Webinar „All you need to know about the PFAS restriction consultation confirmation“ an. Im Juni folgt ein weiteres: „Find out how to replace difficult PFAS-uses with safer alternatives“.

Am 24. Juni tritt die neue Trinkwasserverordnung (TrinkwV) in Kraft, die erstmalig Grenzwerte für PFAS enthält; alle Trinkwasserversorger der Region geben mir ausführliche Interviews für die neue PFAS-Broschüre, die fast fertig ist. Ich lerne einiges Weiteres über die Möglichkeiten von InDesign und bin froh über meine Layouterin und über meinen Lektor.

Ebenfalls im Juni beantwortet Anna Lennquist, senior toxicologist and expert on chemicals management, policy and the underlying science von der NGO ChemSec meine Fragen zu PFAS. Ich habe sie und ihre Kollegen in Göteborg kennengelernt und freue mich sehr über das Interview.

Juli:

Anfang Juli startet in Mittelbaden die dritte Runde der Blutuntersuchungen, mehr oder weniger unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Mein BNN-Artikel über PFAS und die regionalen Papierfabriken erscheint: Woher stammen die PFAS in Mittelbaden? In der interaktiven Karte zu den europäischen PFAS-Belastungen finden sich sowohl die Papierfabriken aus dem Murgtal als auch die in Richtung Freudenstadt oder in Richtung Karlsruhe. Meine Fragen sind präzise, geantwortet wird, wenn überhaupt, schwammig und ungenau. Und wieder will es keiner gewesen sein.

Ende Juli wird meine PFAS-Broschüre der Öffentlichkeit vorgestellt und Wilfried Lienhard von den BNN berichtet darüber: „Eine Online-Broschüre informiert über das PFAS-Problem in Mittelbaden“. Wilfried lässt in seinem Kommentar keinen Zweifel an der Notwendigkeit der Kommunikation:

„Dass die „Ewigkeits-Chemikalien“, der Begriff spricht Bände, Probleme generieren werden, von denen sich bisher noch gar nichts ahnen lässt, ist zumindest nicht auszuschließen. Je mehr wir alle darüber wissen, desto besser. Wissen hilft, sich auf die Sachlage einzustellen. Nicht-Wissen schafft kein Problem aus der Welt, und Nicht-Wissen-Wollen schon gar nicht“.

Der erste PFAS-Newsletter wird von der PFAS-Geschäftsstelle des Landratsamtes Rastatt online gestellt, der zusammen mit der PFAS-Broschüre einen niederschwelligen Zugang für die Allgemeinheit zu einem hochkomplexen Thema bildet.

August:

Das neue gemeinschaftliche PFAS-Forschungsprojekt FABEKO läuft an, bei strahlendem Sonnenschein stehen wir auf  einem belasteten Acker bei Hügelsheim und hoffen auf die Reinigung des Bodens in der Zukunft.

In dem Magazin Nature veröffentlicht XiaoZhi Lim den Artikel: „Could the world go PFAS-free? Proposal to ban ‘forever chemicals’ fuels debate“, der im Spektrum online in der deutschen Übersetzung erscheint: „Eine Welt ohne Teflon?

„Vertreter der PFAS bilden Antihaftbeschichtungen auf Kochgeschirr, Smartphone-Bildschirmen, wetterfester Kleidung und Schmutz abweisenden Textilien. Man verwendet sie in Mikrochips, Düsentriebwerken, Autos, Batterien, medizinischen Geräten und Kühlsystemen. … pro Jahr gelangen schätzungsweise mehrere zehntausend Tonnen solcher Chemikalien in die Umwelt“.

Mitte August stellt Wilfried Lienhard in den BNN meine Online-Broschüre in den BNN im Detail vor: 60-seitige Broschüre, PFAS in Mittelbaden: Was der Stand der Dinge ist.

Ende August findet in Idstein der zweite PFAS-Kongress statt: Das internationale PFAS-Symposium Fluoros 2023, nicht nur für mich ein besonderes Ereignis. Wie es dort war und was Kohlmeisen mit PFAS zu tun haben, steht in meinem Blogbeitrag.

September:

Ferien an der holländischen Nordsee auf der Insel Texel – bei Spaziergängen am Meer denke ich an  PFAS in der Gischt, meine Familie ist genervt. Und sie verbietet mir den Mund, als ich sie hilfsbereit auf PFAS in Fisch und Muscheln hinweise: „Das will jetzt niemand (!) hören…“.

Ebenfalls im September beantwortet Jona Schulze vom Umweltbundesamt Fragen zu dem PFAS-Beschränkungsvorschlag; seine Meinung dazu ist klar, er war an der Erstellung beteiligt und hat die Gegenwehr der Industrie durchaus kennengelernt.

Mit der unterirdischen Lagerung im Salzbergwerk Stetten findet das Landratsamt Rastatt einen weiteren Entsorgungsweg innerhalb von Baden-Württemberg. Ich werde von der Zeitung um eine Einschätzung gebeten.

Oktober:

Ein weiteres Webinar von ChemSec handelt von den „Key Take-aways from the PFAS public consultation“, außerdem erscheint die Herbst-Zusammenfassung von ZeroPM.

Der zweite PFAS-Newsletter des Landratsamtes wird veröffentlicht.

Vertreter der Industrie- und Chemie-Verbände lehnen die PFAS-Beschränkung ab und wollen die Gruppe der Fluorpolymere dort grundsätzlich nicht berücksichtigt sehen, „Fluorpolymere sind sicher“. Die kontroversen Diskussionen in den sozialen Medien enden fast immer damit, dass ich keine Antworten mehr bekomme, was ich sehr schwach finde. 
Manche Politiker erkennen die Gefahren der PFAS, andere erweisen sich als ahnungslos, wirtschaftsgläubig und unbelehrbar. Alles zusammen ärgert mich wirklich und ich thematisiere das in einem Blogbeitrag: „Beschränkte Sicht auf PFAS-Beschränkung?“

November:

In meinem Online-Vortrag bei dem „PFAS-Workshop IV: Lösungen finden“ des österreichischen Umweltbundesamtes sind der PFAS-Skandal in Mittelbaden und die Kommunikation darüber ein Thema: „Von der Zeugung bis zur Bahre: Unsere "wunderbare PFAS-Welt".
Bei einem weiteren Vortrag in Kehl bei der dortigen Bürgerinitiative stelle ich  „PFAS-Chemikalien für die Ewigkeit“ vor.  Das Interesse ist groß, die Ratlosigkeit allerdings auch – wie umgehen mit den PFAS?

Eine Publikation weist PFAS beim Recycling von Papier, Pappe und PFAS in Norwegen nach. Das ist auch wichtig für die Hintergründe der PFAS-Belastung durch Papierschlamm-Kompost in Mittelbaden.

Das Pentagon erklärt gegenüber dem amerikanischen Kongress, man sehe in einer Beschränkung von PFAS eine Gefahr für die nationale Sicherheit, da die Chemikalien nicht nur in Waffensystemen, sondern auch in Lithium-Ionen-Batterien, Hubschraubern, Marineschiffen, Uniformen, Schuhen, Zelten und Seesäcken enthalten seien. 
Auch Belgien hat einen PFAS-Skandal: Eine monatelange Untersuchung des belgischen Senders RTBF, die am  8. November ausgestrahlt wurde, ergab eine schwere Verunreinigung der Wasserversorgung der Region von Wallonien mit Perfluoralkyl- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS).

Dezember:

Mein PFAS-Jahr geht zu Ende und der Monat ist gefüllt mit den PFAS-Jahresüberblicken in den BNN und meiner Homepage.

Außerdem nehme ich an einem Webinar der Fluorpolymergruppe, das sich mit "Fluoropolymers and the PFAS reach restriction" beschäftigt, teil. Ich höre dort sowohl politische Phrasen ohne Inhalt, gewinne aber auch Einblicke in die wirklichen Probleme von Betrieben, die vor der Frage stehen, wie sie Fluorpolymere in ihren Produkten überhaupt ersetzen können. Die Aufgabe ist nicht trivial.

In Nature erscheint zum Jahresabschluss ein Artikel: „The U-turn on PFAS“, Zitat:

„Da per- und polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) als globales Anliegen auftauchen, ist es entscheidend, gemeinsame Anstrengungen zu fördern, die darauf abzielen, ihre anhaltende Verwendung zu beenden und gleichzeitig wirksame Methoden zur Behandlung der Altlasten PFAS in der Umwelt zu entwickeln.“

Die Niederlande warnen vor PFAS in der Meeresgischt und raten, Kinder und Hunde nach dem Schwimmen im Meer abzuduschen; nach einer Studie sind die Konzentrationen der "Forever Chemicals" an der niederländischen Küste vergleichbar mit denen entlang der belgischen Küste. 

Unbeeindruckt fordert die CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung in einem Antrag (20/9736) zu einem Eintreten gegen PFAS-Verbot auf, man will „einen differenzierten, risikobasierten Regulierungsansatz auf europäischer Ebene“. Das bringt die Unternehmer auf die Palme, die ihre Produktion auf PFAS-frei umgestellt haben: Zitat: „Unfassbar!“ Und vielleicht ist der einseitige Wirtschaftsfokus dieser Politiker auch gar nicht so zukunftsweisend.

Und sonst?

Zwei PFAS wurden von der WHO als  gesichert bzw. möglicherweise krebserregend eingestuft, die UN hält PFAS-Verschmutzung in North Carolina für eine Verletzung der Menschenrechte, Versicherungen weigern sich, für PFAS-Schäden zu zahlen und NGOs halten PFAS für das neue Asbest. Man diskutiert über Verursacherprinzip, PFAS-Abgabe und hofft auch auf die Justiz.

In Dordrecht muss die Chemiefabrik Chemours für die Schäden haften, die die Gemeinden um sie herum aufgrund der Verschmutzung mit krebserregenden PFAS erlitten haben, wie das Rotterdamer Gericht im September in einem Zivilverfahren urteilte. Und der schwedische Oberste Gerichtshof befindet im Dezember, dass die erhöhten PFAS-Werte im Blut der Kläger ein ausreichender Beweis dafür sind, dass die Kläger einen persönlichen Schaden erlitten haben. 

Da kommt man dann auch als Unbeteiligter so langsam ins Grübeln und würde vielleicht auf PFAS in Kosmetik, Teppichen, Teflonpfannen und Photovoltaikanlagen verzichten, wenn... ja wenn es denn vernünftig deklariert werden würde.

Aber vielleicht ändert sich das ja bald, denn nun ist auch das Trinkwasser in Brüssel mit PFAS belastet und das Wohnviertel der EU-Parlamentarier ist ebenfalls betroffen. Auch in Strasbourg hat man PFAS in untersuchten Menschen gefunden; möglicherweise führt das ja zu einem Perspektivwechsel, wer weiß?

Vorstellbar ist vieles und möglich alles.  

© Patricia Klatt (Text und Fotos)


 

PFAS Mittelbaden

PFAS Global

Ja, nein, vielleicht?

PFAS Aktuelles