PFAS – diese kaum abbaubaren Chemikalien sind seit rund 80 Jahren in unserer Umwelt und mittlerweile in nahezu allen Ökosystemen nachweisbar. Dennoch bleibt die Regulierung der etwa 15.000 verschiedenen PFAS-Verbindungen ein kontroverses Thema.

Angesichts der neuesten Erkenntnisse des „Forever Lobbying Projects“, das die Strategien der Chemielobby aufdeckt, habe ich erneut mit Reiner Söhlmann gesprochen. Seit einem Jahrzehnt leitet er die PFAS-Geschäftsstelle im Rastatter Landratsamt und ist Ansprechpartner für Bürger, Unternehmen, Universitäten sowie Behörden und Medien. 🏛️📞

Wie bewertet er die aktuelle Situation? Welche Erfahrungen hat er gesammelt, und welche Rolle spielen Politiker bei der Bewältigung der PFAS-Belastung? 👥💬

Das „Forever Lobbying Project" und die Macht der Chemielobby

Herr Söhlmann, ein europäisches Rechercheteam um „Le Monde, The Guardian oder auch den NDR“ hat die Macht und die falschen Behauptungen der Chemielobby genauer untersucht, mit der die Firmen eine grundsätzliche PFAS-Beschränkung verhindern wollen. Die Folgekosten der PFAS-Belastung soll dann die Allgemeinheit tragen. Was sagen Sie dazu?

Das „Forever Lobbying Projekt“ zeigt ja ganz klar auf, dass immense Kosten auf die Gesellschaft für Sanierungen, Trinkwasserreinigung, Abwasserreinigung usw. zukommen werden. In Mittelbaden sind das mittlerweile rund 40 Mio. Euro, die nicht von den Verursachern der Belastung getragen werden.

Das sollte auch bei der Politik angekommen sein und in die politische Entscheidung der Abwägung zwischen Nutzen und Verbraucherschutz von PFAS mit einfließen und dabei nicht nur die Kosten der Industrie berücksichtigt werden.
Eine Beschränkung der PFAS wird in der Industrie zu Veränderungen führen und auch eine Umstellung der Produktion umfassen. Dies ist auch mit Kosten verbunden. Die Nachsorge der eingetretenen Schäden durch PFAS ist aber deutlich aufwändiger und kostenintensiver, ganz abgesehen von den gesundheitlichen Auswirkungen. Die aufwändige Lobbyarbeit der Industrie bei der Politik, um den Status Quo aufrecht zu erhalten, sehe ich als kritisch und wenig innovativ.

Untersuchung der PFAS-Belastung im Grundwasser im Landkreis Rastatt, Foto Klatt

Ganz deutlich muss man zur Lobbyarbeit auch anmerken, dass immer von einem Verbot gesprochen wird. Dies ist aber nicht der Fall, es ist eine Beschränkung mit langen Übergangsfristen und Ausnahmen für Bereiche ohne bereits jetzt vorhandenen Alternativen. Es geht darum die Massenproduktion zu beenden inklusive der Anwendungen, in denen PFAS absolut nicht notwendig sind (z.B. Skiwachs oder Kosmetik).

Deshalb meine Forderung an die Industrie, den Sozioökonomischen Nutzen darzulegen!! Immer im Verhältnis zur Umweltbelastung und dauerhaften Anreicherung in den Umweltkompartimenten mit stetig steigenden Konzentrationen (Thema Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit). Für die Beantragung von Ausnahmen muss die Industrie den Nachweis erbringen, dass PFAS dort unersetzlich sind. Dies ist auch eine Umkehr der Beweispflicht.

Während in Brüssel also die „PFAS-Schlacht“ wegen der geplanten europäischen Beschränkung der PFAS tobt und es in Baden-Württemberg keine gemeinsame Position der Landesregierung mehr dazu gibt, unterstützt der Landkreis diesen Plan; wieso ist das so?

Weil wir uns mit den ganz realen Folgen und Kosten auseinandersetzen müssen. Die PFAS-Beschränkung, die bei der europäischen Chemikalienagentur eingereicht wurde, wird hier parteiübergreifend unterstützt. Von der Problematik sind alle in der Region betroffen, da diskutiert man dann nicht mehr darüber.

Sie waren bereits im April 2024 als Experte zu einer Sitzung des Umweltausschusses des Bundestages eingeladen, um die Positionen des Landkreises zur PFAS-Beschränkung als real Betroffene zu erklären. Was hatten Sie für einen Eindruck von Berlin und dem PFAS-Wissen?

In dem Ausschuss hatten alle von PFAS gehört, ob die Kenntnisse über die ganze Stoffgruppe sehr tief gehen, wage ich zu bezweifeln. Von den realen Folgen hatten die Leute keine Ahnung. Auch den Lobbyisten war nicht bewusst, dass wir mittlerweile eine globale Hintergrundbelastung von Böden und Wasser mit PFAS haben, weil sich die Chemikalien eben nicht abbauen, sondern nur verteilen. Trotzdem sind sie gegen eine Gruppenbeschränkung, sondern möchten PFAS für PFAS einzeln und risikobasiert beurteilen lassen. Ist das nun Unwissenheit oder ist es wider besseres Wissen?

Wissen ist ein gutes Stichwort - die Leute wissen generell wenig über PFAS- ist das Thema zu abstrakt? Was denken Sie?

Man sieht und schmeckt die PFAS nicht – ja, ich denke, diese Chemikalien sind zu abstrakt. Das ist anders als bei Plastik, dass man in den Mägen von Delphinen entdeckt. PFAS sind nicht greifbar, aber trotzdem überall vorhanden. Und PFAS unterscheiden auch nicht zwischen der sozialen Herkunft. Manager und Politiker sind genauso betroffen wie jeder andere Bürger auch. 

 

PFAS im Landkreis Rastatt und Baden-Baden

Herr Söhlmann, kommen wir dann zu den realen Folgen einer realen PFAS-Belastung: Wie steht es Anfang 2025 in Mittelbaden?

Es sind circa 1100 Hektar Boden mit einer Mischung ganz unterschiedlicher PFAS belastet, wir gehen von 1000 bis 5000 Kilo aus. Es ist (Stand heute) nicht möglich, die Chemikalien in der Fläche aus den Böden zu bekommen. Sie gelangen also von dort nach wir vor ins Grundwasser (GW), da sind rund 490 Mio. Kubikmeter betroffen. Als Folge muss das Trinkwasser gereinigt werden. Die Landesanstalt für Umwelt hat ein aktualisiertes, computerbasiertes Modell erstellt, um Prognosen über die Entwicklung der PFAS-Fahne im GW zu ermöglichen.

Das Blut der Menschen wird untersucht. Die Landwirtschaft wird kontrolliert, wir haben dafür das Vor-Ernte-Monitoring (VEM) etabliert. Es gab jahrelange Forschungsarbeiten zu der PFAS-Aufnahme in Pflanzen, die vom Landwirtschaftlichen Technologiezentrum in Augustenberg durchgeführt und veröffentlicht wurden, die Ergebnisse führten zu den aktuellen Anbauempfehlungen. Bauvorhaben und Kiesabbau sind ebenfalls über den PFAS-belasteten Boden betroffen. 

Schuldfrage und Verantwortlichkeiten werden juristisch geklärt.  Die Urteile Hügelsheim und Detailuntersuchung Steinbach-Bühl-Vimbuch liegen nun ja vor, jedoch wurde gegen die Urteile Berufung eingelegt, die sind noch nicht entschieden.

Die Folgekosten der PFAS-Belastung sind immens. Die PFAS-Belastung betrifft die Bevölkerung also in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen und man kann wohl davon ausgehen, dass sie den Landkreis noch in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen wird.  Eine Lösung des PFAS-Problems ist nicht in Sicht.

Wie reagieren die Leute heute, zehn Jahre nach der Entdeckung der Belastung, darauf?

Da gibt es eine große Bandbreite. Es gibt immer wieder Anfragen „wo kann ich mein Wasser untersuchen lassen?“, aber es ist mittlerweile ein gewisser Pragmatismus zu spüren. Bei den Baumaßnahmen wird eine mögliche PFAS-Belastung berücksichtigt und es wird vorher gemessen. Auch das VEM klappt hervorragend. Man könnte sagen, dass die Leute, die davon betroffen sind, gelernt haben, mit der Belastung umzugehen.
Auf der anderen Seite gibt es in der Region auch nach zehn Jahren noch Leute, die nie etwas von der PFAS-Problematik gehört haben. Nach der  Dokumentation im ZDF „Umwelt Crime – Der Fall Rastatt“, die im Mai 2024 gesendet wurde,  haben mich Menschen deswegen angesprochen, denen das alles völlig neu war und die sich nun Sorgen wegen ihrer Gartenbrunnen machten.

Welche Anteil die Papierfabriken am Rastatter PFAS-Skandal hatte, wurde juristisch nicht geklärt, Foto Klatt

Lassen Sie uns einen Blick auf die gesundheitlichen Folgen der PFAS im Blut werfen; Betroffene in der Region fühlen sich nicht hinreichend beraten, gleichzeitig werden weltweit immer mehr Untersuchungen veröffentlicht, die PFAS im Blut mit diversen Krankheiten in Verbindung bringen. Wie zum Beispiel bei der großen PFAS-Belastung in Norditalien, die seit mehr als 30 Jahren besteht und bei der 350.000 Menschen von belastetem Trinkwasser betroffen waren. Klammern wir gesundheitliche Folgen aus?

Wir haben bei uns drei Blutuntersuchungen der Bevölkerung durchgeführt, die Ergebnisse der dritten stehen noch aus. Bis jetzt kann man sagen, dass die Belastung im Blut abnimmt. Auch haben wir einen Abgleich mit dem nationalen Krebsregister gemacht und haben keine erhöhten Zahlen gefunden. Der Abschlussbericht der Blutuntersuchungen soll in diesem Frühjahr veröffentlicht werden.

Norditalien, Symbolbild, Foto Simone Schönle

In Italien hat man von Anfang an den Schwerpunkt auf die Gesundheit gelegt, das ging aber von den Medizinern aus und dort gibt es kostenfreie Untersuchungen für Betroffene, wenn diese es wollen. Die Universität Padua hat kürzlich zum ersten Mal einen Zusammenhang zwischen PFAS und der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in dieser weltweit größten exponierten Bevölkerungsgruppe nachgewiesen. Grundlage der Untersuchung waren Sterberegister im norditalienischen Venetien. Der Fall in Italien ist aber anders gelagert als der bei uns. Konkrete Fragen müssten auch bei uns die Mediziner beantworten.

Wie Sie bereits in dem Gespräch vor zwei Jahren sagten, sind PFAS kein Problem alleiniges Problem in Mittelbaden. Wie sind Sie denn landes- und bundesweit vernetzt? 

Die Vernetzung ist nach wie vor sehr gut und äußerst wichtig, da wir so auf dem „kurzen Weg“ Erfahrungen austauschen können. Wir wissen, wie es in anderen (Bundes)Ländern aussieht, die Ansprechpartner sind bekannt, das alles hilft enorm. Und durch unsere Beteiligung an dem europäischen PFAS-Projekt ZeroPM sind wir auch an der aktuellen Forschung mit beteiligt, die hier über die Stadtwerke Rastatt (Wasserwerk Rauental) und in Karlsruhe vom Technologiezentrum Wasser betrieben wird. Wenn wir Fragen haben, können wir die stellen.

Und eine letzte Frage: Wenn Sie sich „in Sachen PFAS“ etwas wünschen dürften, was wäre das?

Ich würde mir wünschen, dass der PFAS-Beschränkungsvorschlag so umgesetzt wird, wie er eingereicht wurde. Wenn die Industrie mehr Geld in die Forschung als in die Lobbyarbeit stecken würde, um Alternativen für diese Stoffgruppe entwickeln würde, wäre das ein ungeheures Innovationspotential und man würde den Wirtschaftsstandort Deutschland fördern.

 

Herr Söhlmann, haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch :)

 

📢 Und das erste Gespräch mit Reiner Söhlmann können Sie 👉 hier nachlesen 💬📄

 

 

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