Armin Grau, geboren 1959 in Stuttgart, ist Neurologe und seit 2021 Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen. Nach seinem Medizinstudium und der Habilitation übernahm er 2003 die Leitung der Neurologischen Klinik am Klinikum Ludwigshafen. Im Bundestag engagiert er sich insbesondere in den Bereichen Gesundheits- und Umweltpolitik und setzt sich intensiv mit den Risiken von PFAS-Chemikalien auseinander, um gesundheitliche und ökologische Schäden zu minimieren. Ich habe mit Ihm über PFAS aus seiner Sicht des Politikers gesprochen.
Herr Prof. Grau, Sie haben das Thema PFAS auf Ihrer Homepage thematisiert, Sie bieten Webinare zum Thema an, haben dazu bei der Anhörung im Bundestag im Januar 2024 gesprochen und Sie haben Reiner Söhlmann, den Leiter der PFAS-Geschäftsstelle des Landratsamtes Rastatt als Experten zu einer Sitzung des Umweltausschusses des Bundestages eingeladen. Also ein breiter Ansatz; aber - wie sind Sie überhaupt auf das Thema PFAS aufmerksam geworden? Da unterscheiden Sie sich ja wahrscheinlich von den meisten Abgeordneten?
Ich beschäftige mich schon lange mit dem Einfluss von Chemikalien auf die menschliche Gesundheit, und PFAS sind für mich deshalb schon seit vielen Jahren ein wichtiges Thema. Hier haben wir es aufgrund der Langlebigkeit dieser Substanzen mit einer wachsenden Belastung der Umwelt mit Substanzen zu tun, deren Auswirkungen wir noch gar nicht in allen Einzelheiten kennen. Die PFAS werden ja auch als „Ewigkeitschemikalien“ bezeichnet. Das Problem wird man nur in den Griff bekommen, wenn man die gesamte PFAS-Gruppe reguliert.
Wie sieht das "Pfas-Wissen" im Bundestag aus?
Bei den Fachabgeordneten im Umweltbereich gibt es sicherlich Kenntnisse zum Thema. Die Debatten sind leider oft einseitig, die Belastungen von Gesundheit und Umwelt spielen nicht immer eine ausreichende Rolle. Das stört mich natürlich. Es gibt zwar Bereiche, in denen es noch keine Alternativen zu PFAS gibt, das muss man ernst nehmen und dort sind dann auch Ausnahmen und längere Übergangsfristen vorgesehen und notwendig. Wir haben drei große Krisen weltweit; die Klimakrise, das Artensterben und die Verschmutzungskrise wie zum Beispiel durch PFAS. Wir müssen diese gemeinsam angehen und jetzt zügig auf PFAS-Alternativen setzten.
Inwiefern nimmt die Bundesregierung die Risiken durch PFAS ernst, und wie sehen Sie die Verantwortung der Industrie?
Die Bundesregierung nimmt die Risiken durch PFAS sehr ernst. Das Umweltbundesamt ist an einem Regulierungsantrag der PFAS aus 5 Ländern beteiligt. Dieser Antrag ist aktuell im Bewertungsverfahren bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA. Danach müssen sich die EU und die Nationalstaaten wie Deutschland politisch mit dem Vorschlag der ECHA befassen.
In der Industrie gibt es viele Bestrebungen, zu PFAS-freien Produkten zu kommen. Zum Beispiel haben sich über 100 Unternehmen, die Konsumprodukte herstellen, gemeinsam im „PFAS Movement“ für PFAS-freie Produkte stark gemacht. Auch bei Elektrolyseuren, Wärmepumpen oder verschiedenen Medizinprodukten gibt es Unternehmen, die PFAS-freie Produkte entwickeln oder schon auf dem Markt haben. Bei einem Besuch der BASF habe ich kürzlich gesehen, wie herausfordernd die Entwicklung PFAS-freier Alternativen sein kann. In jedem Fall ist an vielen Stellen erkennbar, dass die Industrie nach Alternativen sucht. Der Prozess muss aber sicher noch verstärkt werden, und wir brauchen noch mehr Forschungsanreize und -förderungen, am besten auf EU-Ebene.
3M als eine der großen PFAS-Hersteller hat angekündigt, sich weltweit aus der PFAS-Produktion zurückzuziehen, das ist ein wichtiges Signal. Die Industrie und die gesamte Wirtschaft brauchen Planbarkeit, dazu würde ein gestuftes Aussteigen aus PFAS, wie es der Antrag bei der ECHA vorsieht, auch beitragen.
Wäre da eine „Nationale PFAS-Plattform“ auf Bundesebene nicht eine gute Idee, die Fragende wie Journalisten, Behördenvertreter, Wissenschaftler oder Bürger / Betroffene automatisch auf die passenden Seiten verweist? Als Hilfe bei der Information und Kommunikation?
Ja, so eine Homepage könnte ich mir vorstellen und sie könnte auch sinnvoll sein.
Die Positionen der einzelnen Parteien zu der PFAS-Beschränkung sind sehr unterschiedlich: Die FDP und CDU/CSU sehen die PFAS-Regulierung als Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland; auch Olaf Scholz (SPD) hat sich gegen ein PFAS-Verbot von der EU positioniert. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hingegen hält eine PFAS-Beschränkung für notwendig. Was erwarten bzw. erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung hinsichtlich einer europäischen PFAS-Regulierung?
Ich hoffe sehr darauf, dass sich die nächste Deutsche Bundesregierung für ein gestuftes Ausstiegsverfahren aus den PFAS einsetzt. Anwendungen, für die heute schon breite Alternativen zur Verfügung stehen, sollen rasch beendet werden. Dort, wo Alternativen vorhanden, aber noch nicht ausreichend am Markt verfügbar sind, brauchen wir etwas länger. Für Produkte, für die es heute noch keine Alternativen zu PFAS gibt, brauchen wir Anreize und Förderungen für Forschung und Entwicklung. Das Ziel muss ein kompletter Ausstieg sein. Zunächst müssen wir aber abwarten, zu welchen Empfehlungen die ECHA nach ihren Beratungen kommt. Ich hoffe, die Stellungnahme kommt noch in 2025, denn wir müssen zügig handeln, um die Belastung nicht weiter zu verschärfen. Auch die Firmen brauchen Planungssicherheit.
PFAS in Mittelbaden
Die PFAS-Belastung in Mittelbaden ist für den Landkreis ein großes Thema, die Böden sind belastet, das Trinkwasser muss gereinigt werden – wann haben Sie persönlich davon gehört?
PFAS in Rastatt sind der größte bekannte Hotspot in Deutschland und auch seit dem „Forever Pollution“ Projekt bekannt. Ich kann nicht mehr genau sagen, wann ich zum ersten Mal davon gehört habe, aber wenn man sich mit PFAS beschäftigt, stößt man ja unweigerlich auf die Rastatter Belastung.
Es werden ab 2026 europaweit Grenzwerte für PFAS im Trinkwasser gelten, die eingehalten werden müssen; eventuelle Reinigungsmaßnahmen sind sehr kostenintensiv. Olaf Kaspryk, der Geschäftsführer der Stadtwerke Rastatt, hat bereits eine PFAS-Abgabe der Industrie für die Abfederung der Folgekosten ins Spiel gebracht. Halten Sie so etwas für sinnvoll und umsetzbar?
So eine Abgabe halte ich grundsätzlich für sinnvoll. Vermutlich wird eine solche Abgabe auf europäischer Ebene einzuführen sein.
Und zum Schluss noch eine ganz allgemeine Frage: In einem aktuellen Nature-Artikel geht es darum, dass die Wissenschaft Lösungen für die drängenden Probleme hat, die Politiker diese aber nicht umsetzen. Es wird damit begründet, dass die Politik keine Ahnung von der Wissenschaft hat und dass andersherum die Wissenschaftler nicht wissen, wie Politik funktioniert. Könnte das im Zusammenhang mit PFAS auch so sein?
Ein engerer Austausch zwischen Politik und Wissenschaft ist sicherlich sinnvoll. Dass man voneinander keinerlei Kenntnisse hätte, würde ich aber nicht sagen. Ein Beispiel des Austausches sind Anhörungen in den Ausschüssen zu spezifischen Themen, wo Menschen aus Wissenschaft, Verbänden und der Industrie eingeladen werden. So hatten wir etwa Herrn Professor Dr. Martin Scheringer im Umweltausschuss zu PFAS. Im politischen Raum gibt es bei den Problemlösungen immer Interessenskonflikte und regelmäßig haben einzelne Verbände Interesse daran, am Status quo festzuhalten. Es ist Aufgabe der Politik, hier sinnvollen Zukunftslösungen den Weg zu ebnen.
Herr Prof. Grau, haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Links:
- https://foreverpollution.eu/lobbying/
- https://foreverpollution.eu/map/
- https://pfas-dilemma.info/aktuelles/80-pfas-im-umweltausschuss-des-bundestages