PFAS sind überall – in Böden, Gewässern, Produkten und in unserem Körper.
Prof. Dr. Martin Scheringer gehört zu den führenden Wissenschaftlern weltweit, die seit Jahrzehnten vor den Folgen warnen. In diesem PFAS-Gespräch erklärt er, warum die Ewigkeitschemikalien zu einem globalen Umweltproblem wurden und welche politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen notwendig sind und warum das Thema jede und jeden betrifft – auch wenn man noch nie davon gehört hat.
PFAS: Warum die „Ewigkeitschemikalien“ zum globalen Umweltproblem wurden
Prof. Dr. Martin Scheringer ist Umweltchemiker an der Masaryk-Universität in Brünn und langjähriger Forscher an der ETH Zürich. Als Vorsitzender des International Panel on Chemical Pollution und Mitkoordinator des Global PFAS Science Panel ist er eine zentrale Stimme in der aktuellen Debatte über die „Ewigkeitschemikalien“ PFAS - die längst kein Nischenthema mehr sind, sondern ein globales Umweltproblem darstellen.
Herr Prof. Scheringer, Sie beschäftigen sich nun schon lange mit den ganz unterschiedlichen Aspekten der PFAS-Belastung – welches Gefühl haben Sie, wenn Sie an diese „Ewigkeitschemikalien“ denken?
Scheringer: Mittlerweile ist dies vor allem die sehr irritierende Frage, wie es überhaupt möglich war, dass wir in diese Situation geraten sind. Bei den PFAS hat man eigentlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann - warum und wie ist es dazu gekommen?
PFAS gibt es nun seit rund 80 Jahren – wir reden aber erst seit 10, 15 Jahren verstärkt darüber. Wie erklären sie sich diese Diskrepanz in der Wahrnehmung?
Scheringer: Man war lange mit anderen Schadstoffen beschäftigt - z.B. polychlorierte Biphenyle sowie polychlorierte Dioxine und Furane, verschiedene Pestizide - die sich auch leichter chemisch-analytisch messen liessen. Dadurch sind die PFAS lange weniger präsent gewesen.
Die Forschung zu PFAS schreitet voran. Welche aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Schadenswirkung dieser Chemikalien besser zu verstehen oder sie sogar zu ersetzen?
Scheringer: Das sind zwei recht unterschiedliche Bereiche. Die toxischen Wirkungen werden durch intensive toxikologische Forschung zu den Mechanismen der Giftwirkung von PFAS immer besser verstanden. Und um PFAS zu ersetzen, braucht man viel chemische, materialwissenschaftliche und prozesstechnische Forschung. Man muss zunächst überhaupt verstehen, welche der aussergewöhnlichen Eigenschaften von PFAS in einer Anwendung überhaupt benötigt werden (oft sind es nicht alle dieser Eigenschaften), und warum. Dann kann man nach Alternativen suchen, die diese Eigenschaften ebenfalls aufweisen, wobei die Alternativen i.a. nicht genau die gleichen Eigenschaften wie PFAS aufweisen werden - sonst würde man ja jetzt schon die Alternativen benutzen.
Man muss z.T. auch ganz andere Lösungen suchen - dies ist z.B. ein anderer Aufbau von Bädern für die Verchromung von Metallteilen, wo man bisher oft PFOS benutzt hat, um Schaumbildung und das Verspritzen des Bads mit sehr giftigem Chrom(VI) zu verhindern. Man kann diese Bäder auch mit Unterdruck betreiben, so dass nur aufgrund der Druckverhältnisse nichts austritt.
Reicht es in Ihren Augen aus, immer bessere Methoden zur PFAS-Enfernung aus der Umwelt zu entwickeln, um das Problem zu lösen?
Scheringer: Nein, denn aus der Umwelt lassen sich PFAS in den allermeisten Fällen nicht mehr entfernen. Mit PFAS belastete Böden z.B. kann man nur ausbaggern und als Sondermüll deponieren oder bei hohen Temperaturen verbrennen. Z.T. werden kontaminierte Böden auch "gewaschen", aber diese Wäsche zerstört alle Huminstoffe, und es bleiben eigentlich nur Kies und Sand übrig.
Und aus Gewässern wie Flüssen, Seen oder Meeren lassen sich die weiträumig verteilten PFAS gar nicht mehr entfernen - das ist ein wenig so wie die Milch im Kaffee, die man auch nicht mehr zurückholen kann.
Politik und Regulierung: Warum die EU-PFAS-Beschränkung ins Stocken geraten ist
Welche politischen und regulatorischen Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um die Risiken von PFAS in der Umwelt zu verringern? Sehen Sie hier Fortschritte oder gibt es noch viele Hürden?
Scheringer: Der Beschränkungsvorschlag der EU ist der wichtigste Ansatz. Leider wird er von einigen Industriezweigen stark bekämpft, und das hat bereits zu einer starken Verwässerung bzw. Abschwächung der geplanten Beschränkungen geführt. Insofern gibt es noch erhebliche Hürden, und es steht zu befürchten, dass im derzeitigen politischen Klima nur eine deutliche schwächere Version des Beschränkungsvorschlags bei der EU-Kommission durchkommt.
Ist die Situation hinsichtlich einer PFAS-Beschränkung nicht ziemlich festgefahren? Auf der einen Seite stehen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf der anderen Seite die Lobbyarbeit und politische Blockaden. Wie kann da ein Kompromiss aussehen – oder sollte es überhaupt einen geben?
Scheringer: Ja, die Situation ist tatsächlich schwierig und unklar. Letztendlich wird die EU-Kommission entscheiden, und niemand kann vorhersagen, was dort herauskommen wird.
Und wie sehen Sie die Rolle der Industrie in der Lösung des PFAS-Problems? Welche Verantwortung tragen Unternehmen, die diese Stoffe weiterhin verwenden, und wie können sie zu einer nachhaltigen Veränderung beitragen?
Scheringer: Die Industrie hat eine sehr wichtige Rolle bei der Lösung des PFAS-Problems. Hier ist vor allem wichtig, dass es nicht eine einheitliche Industrie gibt, sondern viele verschiedene Branchen und in jeder Branche viele verschiedene Firmen. Manche sind sehr progressiv und haben, z.T. sogar schon seit langem, PFAS-freie Produkte entwickelt oder entwickeln lassen. ChemSec in Schweden führt solche Firmen im sog. ChemSec Marketplace zusammen.
Am anderen Ende stehen Firmen, die auf der Herstellung und Verwendung von PFAS beharren. Allerdings gibt es Bereiche, wo der Übergang zu Alternativen zur Zeit tatsächlich noch kaum möglich ist, z.B. bei der Herstellung von Computer-Chips. Hier kommt es darauf, dass solche Firmen zumindest die Suche nach - und die Erprobung von - Alternativen beginnen und sich sozusagen "auf den Weg machen". Das ist schon viel wert. Wirklich schwierig sind dann schliesslich diejenigen, die sich aktiv gegen den Wechsel sperren.
Was ist mit den immensen Folgekosten der globalen PFAS-Belastung von Böden und Gewässern, den gesundheitlichen Folgekosten sowie den Auswirkungen auf die Ökosysteme. Sollte das nicht höher gewichtet werden als die Folgekosten für die Industrie, die ja deutlich geringer sind? Wer könnte so etwas überhaupt entscheiden und wer sollte zahlen?
Scheringer: Die Folgekosten sind tatsächlich immens und werden zur Zeit viel zu wenig gewichtet. Und natürlich wäre es besser - weil es den Wechsel vorantreiben würde - wenn die Hersteller und Verwender von PFAS mehr für diese Folgekosten aufkommen würden als dies bisher der Fall ist. So etwas ließe sich gesetzgeberisch entscheiden und auch umsetzen, aber dafür scheint kein politischer Wille vorhanden zu sein. Wohl auch, weil man sich zu leicht einreden lässt, dass man ohne PFAS in die Steinzeit zurückfallen würde. Dabei geht es ja gar nicht darum, dass wir ganz ohne PFAS produzieren und arbeiten müssten. In gewissen Bereichen werden PFAS noch lange verwendet werden, aber diese Bereiche würden viel kleiner sein als heute.
PFAS sind global verbreitet, doch das Thema bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung eher eine Nische. Sollte die Wissenschaft nicht präsenter in sozialen Medien sein – vielleicht auch mal mit ungewöhnlichen Ansätzen wie Influencern – um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen?
Scheringer: Generell sind Chemikalien-Themen sperrig und schwer in die Öffentlichkeit zu bringen. Aber das PFAS-Thema ist so gross und wichtig, dass die Wissenschaft hier mehr tun könnte und sollte. Nicht unbedingt in den sozialen Medien, sondern erst einmal nur schon in den klassischen Medien.
Man kann als Wissenschaftler gezielt mit Medienschaffenden zusammenarbeiten und dafür eine Reihe von Formaten benutzen: Interviews in Radio und Fernsehen, Dokumentarfilme, schriftliche Interviews, Unterstützung von allgemeinverständlichen Artikeln, das Erstellen der Landkarte des Forever Pollution Project, Bürgerforen – all das kann, wenn man es konkret und gut "greifbar" macht, durchaus wirksam sein.
Und als letzte Frage: Was würden Sie jemandem sagen, der meint: „PFAS – das betrifft mich doch gar nicht“? Warum sollte sich jeder mit diesem Thema auseinandersetzen?
Scheringer: Nur schon, weil wir alle eine ganze Reihe von PFAS im Körper tragen und weil dies zu ernsthaften Erkrankungen führen kann. Und weil das Problem nie wieder verschwinden wird, sondern - sofern man nichts dagegen tut - nur immer noch schlimmer werden wird. Es wird auch das normale Leben teurer machen und zu mehr und mehr Einschränkungen führen.
Herr Prof. Scheringer, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
🔍 Hintergrund: PFAS sind in Böden, Nahrung, Alltagsprodukten und Trinkwasser nachweisbar; mehr dazu hier:👉PFAS Dilemma globale Folgen
© Patricia Klatt
Links:
- https://foreverpollution.eu/
- https://foreverpollution.eu/lobbying/
- So schützen wir unser Trinkwasser in Rastatt vor PFAS, (25.6.2025), Stadtwerke Rastatt
- PFAS im Trinkwasser sind kein Kavaliersdelikt; 4. PFAS-Forum der Stadtwerke Rastatt (6.8.2025), Patricia Klatt, PFAS-Blog, pfas-dilemma.info
- Auch der deutsche Umweltminister hat PFAS im Blut (12.10.2025), Markus Wanzeck, Die Zeit
- Ewigkeitschemikalien; Kleine Anfrage an den Deutschen Bundestag - Drucksache 21/1120 (4.8.2025)
- Beispiele für Kommunikation im Studiengang Wissenschaft-Medien-Kommunikation am Karlsruher Institut für Technologie:
- 2025: @perfluorencer; KIT und Instagram
- 2024: Stell dir vor, du hast PFAS ...

