Fragen an Dr. Ulrich Maximilian Schumann, BI Kuppenheim

In Sachen PFAS/PFC wird sehr viel geforscht und Behörden und Verwaltungen müssen ihre Vorgaben laufend anpassen und neu justieren. Aber wie geht es den real Betroffenen in den PFAS- Regionen, deren Trinkwasser jahrelang belastet war, ohne dass man es wusste?

Ich habe darüber mit Dr. Ulrich Maximilian Schumann gesprochen, Publizist und auch Vorsitzender und Mitinitiator der Bürgerinitiative „Sauberes Trinkwasser für Kuppenheim“ (BSTK), die sich vor gut acht Jahren gründete. Der Anlass dafür war damals das PFAS/PFC-belastete Trinkwasser in Kuppenheim in der PFAS-Region im Landkreis Rastatt.

 

Herr Dr. Schumann, das Trinkwasser in Kuppenheim war im Jahr 2014 mit diversen PFAS (damals noch als PFC bezeichnet) belastet, wie habe ich mir die damalige Situation vorzustellen, wer war betroffen und welche Gegenmaßnahmen wurden ergriffen?

Wie die Situation war, wusste man damals noch weniger genau als heute. Sicher aber war, dass sie der Bevölkerung nicht angemessen kommuniziert und überhaupt zu heimlich und zu lax angegangen worden ist. So hat die Gemeinde Kuppenheim nur über Zeitungen über die Überschreitung des Warnwerts für sensible Bevölkerungsgruppen informiert, was entsprechend viele Betroffene gar nicht erreicht hat. Als Maßnahmen ergriffen wurden, waren sie oft nicht nachvollziehbar und vor allem unzureichend oder sogar kontraproduktiv. Einige besonders stark belastete Brunnen zu schließen und dem einzigen verbliebenen vermeintlich unbelastetes Wasser beizumischen, wie es zum Beispiel in Kuppenheim geschah, widersprach der Verpflichtung zum Schutz des Trinkwassers, unserer Gesundheit und Umwelt.

Warum sahen Sie und andere Bürger:innen überhaupt die Notwendigkeit, eine Bürgerinitiative zu gründen? Das könnte man ja als deutliches „Misstrauensvotum“ verstehen?

Sie waren besorgt. Einerseits weil sie mit dem Trinkwasser Gifte zu sich nahmen, andererseits weil ihnen das Gefühl vermittelt wurde, dass dieser Skandal unter dem Tisch gehalten und verharmlost werden sollte. Insofern stand dahinter tatsächlich auch Misstrauen, ein Misstrauen aus Erfahrung mit einer Politik, die immer nur so viel tut und preisgibt, wie man nach der aktuellen Gesetzeslage unbedingt muss. Genau so war es dann ja auch im PFC-Skandal, der sich von da an erst noch richtig ausweiten sollte. Es schien den meisten betroffenen Behörden offenbar wichtiger, selbst gut dazustehen, als dass es den Menschen gut geht.

Die Blutuntersuchungen der Betroffenen in der Region wäre ohne die Initiative der BSTK wohl nie zustande gekommen. Wie sehen Sie das denn heute mit ein bisschen Abstand, haben die Behörden den Kopf in den Sand gesteckt oder waren sie schlicht überfordert?

Nicht nur vielleicht, sondern definitiv hätte es ohne unseren Druck keine Blutuntersuchungen gegeben. Die Behörden vor Ort haben von der untersten bis zur obersten Ebene mehrfach öffentlich zu verstehen gegeben, dass sie keinen Anlass dazu und keinen Sinn darin sehen, und das mit teilweise absurden Argumenten. Ich erinnere mich noch gut an eine Veranstaltung im Landratsamt Rastatt, bei der unsere Frage danach vom Umweltminister über den Landrat zum Leiter des Gesundheitsamtes weitergereicht wurde, dem dazu nur einfiel, man hätte bislang noch keine Untersuchungen dazu angestellt und wisse deshalb nicht, womit man die Ergebnisse vergleichen solle. Nach dieser Logik oder besser Unlogik würde die Menschheit immer noch ratlos und hilflos auf Zivilisationskrankheiten schauen, als wären sie gottgewolltes Schicksal.

Gerade am Anfang des PFC-Skandals hat sich negativ ausgewirkt, dass es auf Behördenseite nicht nur an Kommunikation, Information und Wissen fehlte, sondern auch an der Fähigkeit, das bürokratische Denken hinter sich zu lassen und sich in die Sorgen der Menschen einzufühlen. Ob man es nicht besser konnte oder wollte, spielt keine Rolle, aber vermutlich beides.

Die PFAS-Belastung in Mittelbaden hat, zehn Jahre nach den ersten Nachweisen, enorme Ausmaße angenommen und das Trinkwasser der ganzen Region muss gefiltert werden. Haben die Verantwortlichen aus Ihrer Sicht die Situation im Griff?

Es wäre ja eben naiv zu glauben, dass man die Situation im Griff haben könnte. Genau das aber haben die damit befassten Behörden von Anfang an fast einhellig von sich behauptet. Mittlerweile wird tatsächlich mehr getan als zu Beginn, aber immer noch wird der Skandal nur verwaltet, nun eben mit etwas mehr Öffentlichkeitsarbeit und zusätzlichen Planstellen. Man sonnt sich regelrecht darin, eine „PFC-Modellregion“ zu sein, was nicht nur makaber ist, sondern auch davon ablenkt, dass man den Umgang mit Umweltgefahren wie diesen nicht grundsätzlich hinterfragt. Dabei ist doch entscheidend, ob man aus dem, was geschehen ist, beginnend mit der fahrlässigen Verwendung von vergifteten Papierschlämmen, Lehren für die Zukunft gezogen hat, also Verantwortung übernimmt. Aber das ist wohl einfach nicht vorgesehen, weshalb es ja auch dringend eine andere Politik und Verwaltung braucht.

Steht die BSTK mit Bürgerinitiativen aus anderen PFAS-belasteten Regionen in regelmäßigem Austausch beziehungsweise sind die bekannten Belastungen überhaupt irgendwo aufgelistet, gibt es also so etwas wie ein „PFAS/PFC-Netzwerk“?

Es gibt bereits sehr viele und immer mehr PFC-Fälle, aber nur wenige Bürgerinitiativen, die sich mit ihnen befassen. Soweit wir von ihnen wissen, haben wir deren Gründung mit einem fachlichen Austausch begleitet, der anhält, also in Altötting, Manching und Gaggenau-Oberweier. Wo sich keine eigenen Bürgerinitiativen bilden, werden wir auch von dortigen Medien, Gruppen und Personen um Informationen und Einschätzungen gebeten, selbst in anderen Bundesländern wie beim Fall Wiesbaden-Erbenheim durch den Hessischen Rundfunk, der mit kritischen Berichten zu einem rascheren und offeneren Handeln der Landesregierung beitrug. Die Stadtwerke Rastatt führen nach eigener Aussage eine Liste der bekannten PFC-Fälle.

Und dann eine Frage an Sie, die ich auch schon an Thorsten Stahl gestellt habe: Sind Sie angesichts der ubiqitären Verteilung der PFAS inklusive der gesundheitlichen Folgen desillusioniert? Wurde hier nicht ein weiteres Mal die Büchse der Pandorra geöffnet, ohne einen Gedanken an die langfristigen Folgen zu verschwenden? Das kann man doch gar nicht mehr eindämmen…

Das ist wohl leider so. Aber desillusioniert kann man nur sein, wenn man Illusionen hatte. Dazu waren wir aber nicht naiv genug. Dafür gab sich die Politik jahrzehntelang der Illusion hin, man könnte die Gefährdungen unserer Umwelt und Gesundheit aussitzen. Aber es stimmt: Der eigentliche Skandal hinter dem PFC-Skandal ist ja, dass so etwas im 21. Jahrhundert möglich ist, wo doch Politik und Wirtschaft immer von Umweltschutz reden.

Eine letzte Frage an Sie, was würden Sie sich in Sachen regionaler und globaler PFAS-Belastungen am dringendsten wünschen?

Letztendlich muss sich die Politik und Verwaltung radikal ändern, hin zu einer aktiven Für- und Vorsorge, anstatt dass sie immer nur unentschlossen den Problemen hinterherläuft. Aber weil ich wenig Hoffnung habe, dass ich das noch erleben werde, würde ich mir bis dahin von dieser Seite zunächst einmal mehr Interesse, Ehrlichkeit und Wissen in der Sache wünschen. Aber weil ich auch daran nicht so recht glaube, hoffe ich, dass sich mehr Menschen für diese Themen engagieren und Druck auf die Politik und die Wirtschaft machen, gerade auch die Jugend und ihre Bewegungen, und wünsche ihnen dafür viel Energie und Unterstützung.

Herr Dr. Schumann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Zusatzinformation: Studierende der Lehrredaktion Print im Studiengang „Wissenschaft-Medien-Kommunikation“ am KIT haben sich im Sommersemester 2022 mit dem PFAS/PFC-Skandal in Mittelbaden beschäftigt und dort auch Dr. Schumann zu den juristischen Hintergründen und Klagen der Bürgerinitiative befragt: „PFAS in Mittelbaden – Ein vergessener Skandal?“, S.24

Bürgerinitiative „Sauberes Trinkwasser für Kuppenheim“: Link zur Facebook-Seite

 

Und hier auch die Links zu den beiden Blutuntersuchungen in der PFAS-Region Mittelbaden, von denen im Gespräch die Rede ist:

Blutuntersuchung 2018

Blutuntersuchung 2020

 

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