Fragen an Prof. Dr. Thorsten Stahl, CEO und Vorstandsvorsitzender der CVUA-MEL
Prof. Dr. Thorsten Stahl ist Vorstandsvorsitzender des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Münsterland-Emscher-Lippe (CVUA-MEL). Das Arbeitsgebiet, welches sich mit Kontaminanten beschäftigt, untersucht ganz unterschiedliche PFAS-Aspekte, „PFAS: Carryover (plants and animals), foodstuff, food chain, environment, risk assessment, bioindicator“. Vorher war er viele Jahre am Landesbetrieb Hessisches Landeslabor, auch dort ging es um die PFAS. Insgesamt begleiten ihn diese fluorierten Chemikalien nun schon seit 15 Jahren.
Herr Prof. Stahl, Sie gelten als ausgewiesener PFAS-Experte, sitzen in vielen Fach-Gremien und beschäftigen sich schon sehr lange mit dieser Chemikaliengruppe, sei es nun die Aufnahme in die Pflanzen, die Bindung im Boden, die Lebensmittelbelastung oder auch mit den ökologischen Auswirkungen. Wie würden Sie die Entwicklung „in Sachen PFAS“ in den letzten 10, 20 Jahren beurteilen und wie hat sich die Situation in Deutschland entwickelt?
Eine spannende, auch wenn aus meiner Sicht nicht ganz einfach zu beantwortende Frage. Das Thema PFAS ist in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus der Wissenschaft gerückt – aber glücklicherweise auch in den Fokus der Politik und Regulation – auch wenn hier nicht nur aus meiner Sicht weiterer (länderübergreifender) Handlungsbedarf besteht. Allerdings sind die PFAS in der „breiten Öffentlichkeit“ derzeit weiterhin kein allzu großes Thema. Verschiedene Non Government Organisationen und auch die Lebensmittel produzierende Industrie haben das Thema aufgegriffen. Insofern würde ich den zweiten Teil Ihrer Frage gerne mit „die Situation in Deutschland entwickelt sich“ beantworten. Es tut sich etwas und aus meiner Sicht in die richtige Richtung.
Wie schätzen Sie den „Rastatt-Case“ und die Möglichkeiten bei dieser großflächigen PFAS-Belastung in Mittelbaden ein? Auch da sind Sie ja an Forschungsprojekten beteiligt:
Durch den durchaus offenen Umgang mit der PFAS-Thematik in Mittelbaden und einiger durch Baden-Württemberg initiierten Forschungsprojekte wurde der „Rastatt-Case“, wie Sie ihn bezeichnen, sozusagen zu einer Modellregion einer PFAS-Belastung. Es konnten wichtige neue Erkenntnisse (z.B. das Verhalten von Vorläufersubstanzen in der Umwelt) gewonnen und frühere Hypothesen (z.B. der Übergang von PFAS inklusive Vorläufer in Pflanzen) untermauert werden.
Wenn wir von einer großflächigen PFAS-Belastung sprechen, müssen wir meines Erachtens den Blick auf die PFAS-Konzentrationen richten. Wir wissen seit Beginn der PFAS-Forschung, dass wir es mit einer ubiquitär vorkommenden Substanzklasse zu tun haben. Aus aktuellen Bodenuntersuchungen ist bekannt, dass sich PFAS auch in „Hintergrund“-Böden (z.B. Wald oder Grünlandnutzung) teilweise in höheren Konzentrationen befinden. Ab wann tatsächlich von einer Belastung gesprochen werden kann, muss gegebenenfalls reguliert respektive definiert werden. Aber natürlich handelt es sich bei dem „Rastatt-Case“ um einen Hot-Spot, dessen PFAS-Konzentrationen bei den allermeisten Untersuchungen deutlich über einer Hintergrund-Belastung liegen.
Eine großflächige Sanierung – das trifft aber nicht nur auf Rastatt zu – in Form von Bodenaushub oder Bodenwäsche dürfte an den immensen Kosten und dem logistischen Aufwand scheitern.
Welche realistischen Verbesserungen erwarten Sie auf EU-Ebene hinsichtlich der angestrebten Regulierungen der PFAS als eine Klasse (essentiell use concept), die Industrie hält das teilweise für nicht umsetzbar – aber ist diese Regulierung nicht alternativlos?
Ich möchte mit einem Zitat (sinngemäß) von Bob Buck beginnen, einem der wohl bekanntesten Vertreter innerhalb der PFAS-Community und seit Jahrzehnten in der Fluorchemie tätig. Er antwortete während einer PFAS-Veranstaltung auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Fluorchemie: „Ihr wolltet die Fluorchemie, jetzt habt Ihr die Fluorchemie – also was wollt Ihr jetzt“?
Mit dieser Antwort spielte er auf die – aus technologischer Sicht - hervorragenden Eigenschaften der Fluor(polymer)chemie an/in/bei unzähligen Anwendungen an. Ein sofortiges Verbot/Regulierung/Einschränkung bis auf sehr wenige Ausnahmen aller PFAS – also die regulatorische Behandlung als eine Klasse – wäre absolut wünschenswert; aber dies ist aus meiner Sicht nur sukzessive und nicht „auf einen Schlag“ möglich.
Sind Sie angesichts der ubiqitären Verteilung der PFAS inklusive der gesundheitlichen Folgen desillusioniert? Wurde hier nicht ein weiteres Mal die Büchse der Pandorra geöffnet, ohne einen Gedanken an die langfristigen Folgen zu verschwenden? Das kann man doch gar nicht mehr eindämmen…
Nein, desillusioniert bin ich keinesfalls – im Gegenteil. Ich halte es für zielführender, PFAS aus wissenschaftlicher, aber zunehmend auch aus gesellschaftspolitischer Sicht zu thematisieren und dabei weder Ängste zu schüren noch zu verharmlosen. Eben Werbung für einen sachlichen Umgang mit dieser Materie zu machen. Wohlwissend, siehe „Rastatt-Case“, dass bei möglicher Gesundheitsgefährdung oder drohenden wirtschaftlichen Folgen die Emotionen verständlicherweise schnell „hochkochen“ können.
Die Fluorchemie existiert seit mehr als 100 Jahren, die moderne Fluorchemie seit etwa 70 Jahren. Ob die langfristigen Folgen absehbar waren, ist meines Erachtens eine philosophische Frage. Wir sind den langfristigen Folgen ausgesetzt und müssen damit umgehen (lernen) sowie Handlungskonzepte erarbeiten
Die Wissenschaftler publizieren ihre Forschungsergebnisse und dadurch ist man da theoretisch auf dem Laufenden (theoretisch deswegen, weil es eine Flut von Publikationen gibt und man die Zeit zum Lesen finden muss…). Würden Sie sagen, dass man als Wissenschaftler den Überblick über die aktuellen Forschungen und Regulierungen hat?
Den Gesamtüberblick in Bezug auf die aktuelle Forschung zu behalten oder sich zu erarbeiten, ist aus meiner Sicht unrealistisch. Auch hier ist – wie bei vielen anderen Themen – die Fokussierung auf einen beschränkten Themenbereich erforderlich. Was den Überblick hinsichtlich Regulierungen angeht, so ist ein gut funktionierendes „networking“ erforderlich aber realisierbar.
Auf der anderen Seite gibt es viele bekannte oder auch immer wieder neue PFAS-Belastungen in Deutschland, über die meistens nur in den lokalen Medien berichtet wird, so dass niemand einen Gesamt-Überblick zu haben scheint, welche PFAS-Belastungen es überhaupt gibt. Sehen Sie das genauso? Bräuchte man nicht eine bundesweite Stelle, an der diese Infos gesammelt und kommuniziert werden?
Der Begriff Föderalismus wird in zahlreichen Zusammenhängen verwendet und trifft auch bei der PFAS-Thematik ganz gut zu. Eine Koordinierungsstelle auf Bundesebene wie es der Landkreis Rastatt auf kommunaler Ebene eingerichtet hat, wäre gegebenenfalls eine Möglichkeit. Allerdings sind zahlreiche Rechtsbereiche (z.B. Abfallrecht, Bodenschutz, Lebensmittelrecht etc.) betroffen, so dass dies eine Mammutaufgabe darstellen würde. Von einer sehr guten personellen und finanziellen erforderlichen Ausstattung einmal ganz abgesehen.
Die Umweltministerkonferenz (UMK) und die Arbeitsgruppe „Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände, Wein und Kosmetika (ALB)“ auf Bundesebene haben sich der PFAS angenommen. Ein ebenfalls sehr wichtiges Signal.
Die Studierenden der Lehrredaktion im Studiengang „Wissenschaft-Medien-Kommunikation“ am KIT beschäftigen sich in diesem Semester mit dem PFAS/PFC-Skandal in Mittelbaden und vermissen eine aureichende Kommunikation darüber in den Social-Media-Kanälen. Das CVUA-MEL hat ja nun auch einen Instagram Kanal, könnten Sie sich dort vielleicht einen PFAS-Schwerpunkt vorstellen?
Das CVUA-MEL hat 22 Arbeitsgebiete. Eines davon beschäftigt sich mit Kontaminanten, wovon wiederum eine Substanzklasse die PFAS sind. Auch wenn ich mich persönlich seit 15 Jahren mit PFAS – und immer noch mit wissenschaftlicher Leidenschaft – beschäftige, wird es einen eigenen Instagram-Kanal mit PFAS-Schwerpunkt voraussichtlich nicht geben. Das wäre auch gegenüber allen anderen Arbeitsgebieten unfair, die sich mit gleicher Leidenschaft ihren Themen widmen und die ebenfalls für den Verbraucher- sowie Tierschutz sehr wichtig sind.
Wie sehen Sie die Kommunikation über PFAS für die Allgemeinheit an? Bräuchte man nicht endlich (!) einen bundesweiten Newsletter zum Thema?
Eine sehr interessante sowie innovative Idee. Es stellt sich die Frage, welche Zielgruppe soll in welchen Abständen durch wen in welcher Tiefe informiert werden? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Newsletter schnell „totlaufen“, wenn der Empfänger von der Email-Flut genervt, die Informationen zu wissenschaftlich oder zu wenig informativ sind, oder das Thema nicht viel Neues zu bieten hat.
Ich halte – meine ganz persönliche Meinung – gezielte Informationen für eine effiziente Methode, um Bürger, Wissenschaftler, Industrie und die Politik mitzunehmen.
Herr Prof. Stahl, ganz herzlichen Dank für das Gespräch :)
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