Zitat (Rebecca Altmann, https://aeon.co/essays/how-20th-century-synthetics-altered-the-very-fabric-of-us-all)

PFAS: Der teuerste Versicherungsschaden der Geschichte? 

„Steht die Branche hier vor dem teuersten Versicherungsschaden ihrer Geschichte?“, so fragt die LBBW in einer aktuellen Pressemitteilung am 26. März. Die Rede ist von PFAS.

Das ist diese Chemikaliengruppe, gegen deren Beschränkung viele Industrie- und Chemieverbände Sturm laufen, WirtschaftsministerInnen empört protestieren und EU- und andere Politiker das zu wiederholen scheinen, was die Industrievertreter ihnen "einflüstern". Die Beschränkung sei ein unkalkulierbares Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland, so die übereinstimmende Meinung. Aber vielleicht ist diese Perspektive nicht die richtige und das unkalkulierbare Risiko ein ganz anderes? 

 

Versicherungen warnen

Denn die Warnung vor den Konsequenzen der Chemikalien lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und kommt nicht von Umwelt- oder sonstigen Seiten:

„Wir beobachten zunehmend, dass Rückversicherer Ausschlüsse einführen. Lloyds (LMA) in UK und die Internationale Organisation für Normung (ISO) in den USA haben bereits Ausschlüsse beantragt. Daher ergreifen auch schon einige  Erstversicherer entsprechende Maßnahmen“, sagt Michaela Kreß, Leiterin des Fachbereichs Haftpflicht der Funk Gruppe, der größte eigenständige Versicherungsmakler in Deutschland. Ein einheitliches Bild zeichnet sich bisher jedoch noch nicht ab. Einzelne Versicherer fordern die Vereinbarung eines generellen PFAS-Ausschlusses, andere warten die Maßnahmen der EU ab.

 

"Beim Abschluss oder im Rahmen der Vertragsverlängerung von Sach-, Haftpflicht- und D&O-Versicherungen prüfen insbesondere die Industrieversicherer die PFAS-Exponierung ihrer Kunden. Analysiert wird ebenfalls, welche Maßnahmen ergriffen werden, um diese Chemikalien zukünftig zu vermeiden, und ob Schadenerfahrungen, Klagen oder regulatorische Anforderungen vorliegen“ so die  Sprecherin.

 

Banken warnten bereits vor vier Jahren

Bereits im Jahr 2020 veröffentlichte auch die Union Invest,  die Fondsgesellschaft der Volksbanken Raiffeisenbanken und einer der größten Vermögensverwalter in Deutschland, einen Beitrag zu PFAS:

„Asbest, Glyphosat…PFAS? Erneut wird ein chemischer Stoff zum Kapitalmarktrisiko“. Dort heißt es u.a.: „Die Gefahren, die mit der Produktion und Verarbeitung von PFAS einhergehen sind groß . (...) Die betroffenen Unternehmen sind durch eine immer schärfere Regulierung bereits in den vergangenen Jahren in ihrer Geschäftstätigkeit eingeschränkt worden. Vor allem aber stellen Strafzahlungen im Zusammenhang mit Klagen und Kosten zur Beseitigung von Umweltschädigungen eine zunehmende finanzielle Belastung für die angeklagten Unternehmen dar.

 

 

Sollten sich einige der in aktuellen Prozessen vorgebrachten Behauptungen als wahr erweisen, droht eine weitere Klagewelle und zudem ein nicht zu unterschätzender Reputationsverlust. Ob die drohenden Kosten durch diese möglichen Belastungen durch Rückstellungen bereits ausreichend gedeckt sind, darf bezweifelt werden. Für Investoren am Kapitalmarkt stellt dies ein zusätzliches Risiko dar, das bei der Anlageentscheidung berücksichtigt werden sollte“.

 

Warnung der LBBW

Und nun die Warnung der LBBW, die Gewicht hat. „Die genaue Höhe der volkswirtschaftlichen Schäden durch PFAS lässt sich aktuell nur äußerst ungenau abschätzen. Zu wenig wird das Thema bislang wissenschaftlich beleuchtet. Die schwedische Umweltschutzorganisation ChemSec beziffert die gesamtwirtschaftlichen Folgen aus Umwelt- und Gesundheitsschäden für die Weltbevölkerung bis 2050 mit 141 Billionen US-Dollar (gut 130 Billionen Euro). Dabei seien die Kosten für das Beseitigen der bisherigen PFAS-Verschmutzung jedoch ebenso wenig berücksichtigt wie die verringerte durchschnittliche Lebenserwartung, der Wertverlust betroffener Grundstücke oder die Auswirkungen auf die Tierwelt, schränkt Versicherungsanalyst Werner Schirmer die Aussagekraft ein.

Entsprechend breit ist bislang auch noch die Schätzung der Gesundheitskosten. Der Nordische Ministerrat der skandinavischen Länder prognostizierte 2019 die Belastungen für den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit 52 Milliarden bis 84 Milliarden Euro. Den größten Teil davon müssen die Sozialversicherungssysteme tragen. Über Leben-, Kranken- und Berufsunfähigkeitspolicen ist aber auch die private Versicherungswirtschaft betroffen.

„Die Prognosen mögen zwar mit enormer Unsicherheit behaftet sein. Das Risiko, dass PFAS höhere Versicherungsschäden verursacht als Asbest, scheint jedoch nicht unerheblich zu sein“, urteilt Schirmer. Er vermutet, dass zukünftig auch kontinentaleuropäische Versicherer in ihren Firmenhaftpflicht-Verträgen PFAS möglichst ausschließen dürften, wie dies in den USA inzwischen verbreitet sei. 

 

Chemisches Risiko – das größte finanzielle Risiko, von dem Sie noch nie gehört haben,

so schreibt  die schwedische NGO ChemSec im Juli 2023 unter der Rubrik „Nachhaltige Finanzen“ auf ihrer Homepage.

„Noch vor ein paar Jahren war das Chemikalienrisiko nicht etwas, was den Vermögensverwaltern sehr am Herz gelegen hat. Aber in den letzten Jahren ist es schwierig geworden, das zu ignorieren“, so ChemSec und nennt 3M als Beispiel.

„Ein Marktforschungsunternehmen schätzt, dass 3M mit Sanierungskosten von bis zu 140 Milliarden Dollar konfrontiert sein könnte. Das ist mehr als doppelt so groß wie der Gesamtmarktwert des Unternehmens. Dies bedeutet, dass das Unternehmen möglicherweise erhebliche Schulden aufnehmen muss (wenn jemand Kredite leihen möchte) oder neue Aktien ausgeben muss (wenn jemand sie kaufen möchte).

Oder, wie ein Konkursanwalt, der den Fall in Bloomberg Law kommentierte, sagte: „Der Bankrott könnte die einzige wirkliche Alternative sein“. Mit anderen Worten, ein Fortune-500-Unternehmen, das fast 100.000 Menschen beschäftigt, könnte aus der Existenz verklagt werden“, so ChemSec.  

 

Enorme Kosten auch in Mittelbaden 

Der PFAS-Skandal in Mittelbaden ist seit rund 12 Jahren bekannt und hat bis jetzt Folgekosten von 30 bis 40 Millionen Euro verursacht. Die werden weder von Verursachern noch von Versicherungen bezahlt, sondern von den Steuerzahlern.

 

Ein regionaler Komposthändler hatte, möglicherweise seit Beginn der 2000er Jahre, Papierschlämme  von 14 Papierfabriken aus mehreren Bundesländern angenommen und mit Kompost vermischt. Manche Papierschlämme stammten aus Fabriken, die PFAS einsetzen, andere aus solchen, die Altpapier als Ausgangsstoff zur Papierproduktion haben. Die Papierschlamm-Kompost-Mischung kam auf die Äcker.

Der Komposthändler wehrt sich juristisch seit vielen Jahren dagegen, als alleiniger Verursacher der großflächigen PFAS-Belastung der Region gebrandmarkt zu sein. Die Papierfabriken treten in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung, auch nicht diejenigen, bei denen man davon ausgehen könnte, dass ihre Papierschlämme kein PFAS enthalten haben sollten.

In der jüngsten Gerichtsverhandlung im Februar 2024 wurde vor dem Verwaltungsgericht eine weitere Klage des Komposthändlers gegen die Kostenübernahme der Detailuntersuchungen des Bodens in Höhe mehrerer Hunderttausend Euro abgewiesen. Dazu sagte sein Berater:

„Fakt ist jedoch, dass die Firma des Komposthändlers  die im Raum stehenden Kosten nicht übernehmen kann. Dies ist insofern tragisch, als dass, wenn der Komposthändler tatsächlich PFAS belastete Papierfaserabfälle erhalten haben sollte (was weiterhin unbewiesen ist und bestritten wird), der Komposthändler ein „Opfer“ der Papierfabriken wäre. Zum Zeitpunkt der seinerzeitigen Übernahme der Papierfaserabfälle war dem Komposthändler die Existenz von PFAS nicht einmal bekannt. So müsste seine Firma für Umweltvergehen anderer geradestehen, ein Umstand, der schwer zu begreifen ist“.

 

Und das alles sind nur wenige Beispiele der Konsequenzen und der Kosten der weltweiten PFAS-Belastung. Trotzdem sind manche Industrie- und Chemieverbände gegen eine EU-weite Beschränkung der PFAS, sondern plädieren für die risikobasierte Regulierung von einem PFAS zum nächsten PFAS, was sich ja bisher auch bewährt habe.

Das kann man nun so sehen, das muss man aber nicht so sehen, scheint alles eine Frage der Perspektive, der Gewichtung und der interessanten Frage zu sein: Wer zahlt wann und was und wofür und in welcher Höhe? 
Und damit schließt sich der Kreis und die Banken und Versicherungen haben das Wort.

Weiterer Link: Cordner et al., The true cost of PFAS and the benefit of acting now, Environ. Sci. Technol. 2021, 55, 18, 12739

© Patricia Klatt


 

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