Fisch ist gesund. Mittlerweile gilt das nicht mehr überall und uneingeschränkt, denn die gesundheitsschädlichen PFAS werden aus belasteten Gewässern von den Fischen aufgenommen. In allen PFAS-Regionen in Europa werden deswegen die Fische untersucht und gegebenenfalls Verzehrempfehlungen ausgesprochen. Mit der Einführung neuer Höchstwerte für vier PFAS in Lebensmitteln hat sich die Situation überall weiter verschärft.
„Sehe ich Fisch, denk‘ ich an PFAS“
Fisch ist möglicherweise weniger gesund als allgemein geglaubt wird: Bei Menschen, die regelmäßig Süßwasserfische essen, können sich alarmierende Konzentrationen von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFAS) in ihrem Körper ansammeln, so eine Mitteilung der amerikanischen NGO Environmental Working Group (EWG), die sich auf Forschung und Interessenvertretung in den Bereichen Agrarsubventionen, giftige Chemikalien, Trinkwasserverschmutzung und Unternehmens-Verantwortung spezialisiert hat. Die Wissenschaftler hatten in Studien festgestellt, dass der Verzehr von nur einer einzigen Portion Süßwasserfisch pro Jahr der Trinkwassermenge eines Monats entsprechen könnte, die mit hohen Mengen der "Ewigkeitschemikalie Perfluoroctansulfonsäure (PFOS)" versetzt ist. PFOS ist gesundheitsschädlich und eines von 10.000 verschiedenen PFAS. Besonders hohe PFOS-Werte fand man bei den Leuten, die regelmäßig selbst Fische in Seen und Flüssen angelten und dann auch verzehrten. „Als ich aufwuchs, ging ich jede Woche angeln und aß diese Fische. Aber wenn ich jetzt Fische sehe, denke ich nur an die PFAS-Kontamination“, so David Andrews, Ph.D., EWG Senior Scientist und einer der Hauptautoren der Studie.
Die Arbeitsgruppe um Håkon Austad Langberg (Geotechnics and Environment, Norwegian Geotechnical Institute (NGI), Norway) beschreibt in einer aktuellen Recherche (2024), dass der Verzehr von Fisch eine wichtige Quelle für die PFAS-Exposition des Menschen sei, dass es eine mangelnde Harmonisierung der Rechtsvorschriften für PFAS gebe und dass selbst der Verzehr kleiner Mengen Fisch zu einer Überschreitung der PFAS-Grenzwerte führen könne. Die Wissenschaftler betonen außerdem, dass die PFAS-Exposition durch Fischkonsum auch eine Herausforderung für die Risikokommunikation darstellt.
Fische in Mittelbaden
Das mag den Anglern in der PFAS-Region Mittelbaden ähnlich gehen, die sich seit mindestens acht Jahren mit der zunehmenden PFAS-Belastung der Gewässer auseinandersetzen müssen – und mit einer großen Menge sich ändernder Vorgaben. Kurz nach Bekanntwerden der Belastung wiegelte man behördenseits eher ab, man müsse schon 5-6 Kilo Fisch pro Woche essen, um überhaupt gefährdet zu sein. Das sieht heute ein bisschen anders aus; die Behörden untersuchten in den letzten Jahren eine Vielzahl von Fischen aus den betroffenen Angelseen, in fast allen Proben konnten PFAS nachgewiesen werden (siehe Homepage PFC-Stabsstelle, Lebensmittelüberwachung, Ergebnisse 2017, 2018, 2019). Die Situation hat sich im Januar 2023 verschärft, denn die Europäische Kommission hat aufgrund wachsender Erkenntnisse neue Grenzwerte für die zulässigen Höchstwerte für vier langkettige PFAS in Lebensmitteln veröffentlicht (s.Infobox), die für Eier, Fische, Krebstiere, Muscheln sowie für Fleisch und Schlachtnebenerzeugnisse von Nutz- und Wildtieren gelten.
Infobox:
Die Europäische Kommission hat für Lebensmittel Grenzwerte für den Höchstgehalt von vier Stoffen aus der Gruppe der per- und polyfluorierten Chemikalien (PFAS) festgelegt, dazu gehören: Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), Perfluoroctansäure (PFOA), Perfluornonansäure (PFNA), und Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS). Die Kontamination von Lebensmitteln mit diesen Stoffen ist hauptsächlich das Ergebnis der Bioakkumulation in aquatischen und terrestrischen Nahrungsketten, und auch die Verwendung von PFAS-haltigen Lebensmittelkontaktmaterialien dürfte zur Exposition des Menschen gegenüber PFAS beitragen.
Als Konsequenz wurde den Anglern generell vom Verzehr der Fische abgeraten, eine freiwillige Maßnahme, da die Fische nicht verkauft werden und deswegen auch nicht entsprechend reglementiert sind. Aktuell wird auch nicht mehr weiter untersucht, denn da die Belastung der Gewässer nicht verschwindet, geht man davon aus, dass auch die Belastung der Fische weiter anhält.
Der Angelsportverein Sandweier fand bei eigenen Messungen in den Jahren 2016 und 2022 allerdings eine signifikante Abnahme der PFAS-Verbindungen PFOS und PFDA (Perfluordecansäure). Da der PFAS-Gehalt von Fischen von verschiedenen Faktoren wie Spezies, Ernährungsweise, Alter, Größe, Nahrungsangebot oder auch Besatzfisch: ja oder nein abhängt, würde es wohl eines sehr umfangreichen und langfristigen Studiendesigns bedürfen, um diese gemessene Abnahme des PFAS-Gehaltes zu verifizieren, gibt die Stabsstelle zu bedenken. Aktuell seien jedenfalls keine routinemäßigen Beprobungen und Untersuchungen der Fische aus den Angelseen in den betroffenen Gebieten auf PFAS im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung geplant. Das würde sich der Vorsitzende des Angelsportvereins Sandweier, Jürgen Waldvogel, allerdings wünschen, denn „unser Verein wendet in Bezug auf die Laborkosten sehr viel Geld auf, um unsere Fische untersuchen zulassen. Unterstützung hierfür erhalten wir nicht“. Bei unseren Politikern hat Waldvogel den Eindruck des Wegduckens. Auch habe man keine Informationen über das Ministerium erhalten.
Und wie werden Angler informiert?
„Für unsere Angler hat die EU-Verordnung keine neuen Konsequenzen, da sie von uns, als Vorstandschaft des ASV Sandweier, fortlaufend über die Entwicklung bei den PFAS-Werten informiert und zum Verzicht bzw. zur Vorsicht beim Verzehr aufgefordert werden“, so Waldvogel. Der einzelne Angler entscheide selbst, ob er einen Fisch verzehren wolle oder nicht. Man weise lediglich auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und wissenschaftliche Erkenntnisse hin. Ebenso stehe man mit den Nachbarvereinen im Kontakt und informiere sich gegenseitig. Die neue Verordnung liegt Waldvogel über den Landesfischereiverband vor, auf dessen Homepage findet man allerdings unter dem Suchbegriff PFAS keinen Eintrag, ebenso wenig wie auf der Seite des Deutschen Fischerei-Verbandes.
„Ich will angeln und keinen Behördenkram lesen“
Auch bei der Stabsstelle PFC am Regierungspräsidium Karlsruhe ist nicht geplant, die Angler explizit auf die neuen Grenzwerte hinzuweisen; die Angelvereine im Landkreis Rastatt seien bereits in der Vergangenheit über die erhöhten PFAS-Werte in Fischen aus Angelteichen im Landkreis informiert worden, so dass diesen die Problematik bekannt sei. Eine gesonderte Unterrichtung der Angelsportvereine sei nicht geplant, zumal es sich bei den privaten Anglern ja nicht um Lebensmittelunternehmen handele und die Fische ja auch nicht in den Verkehr gebracht werden würden, so die Stabsstelle. Man vertraut darauf, dass sich die Angler aktiv selber um die Informationen kümmern, „die in bewährter Weise auf der Homepage des Regierungspräsidiums veröffentlicht werden und Interessierten zur Verfügung stehen“. Inwieweit die Angler dort nachlesen, ist die eine Frage, inwieweit sie sich an die Empfehlungen halten, die andere. „Ich will angeln und keinen Behördenkram lesen“, so ein Angler.
Verzehrempfehlungen anderer Bundesländer
Bei bekannten regionalen Belastungssituationen geben die zuständigen Behörden in den Ländern auch Verzehrempfehlungen für besondere Gruppen wie Angler heraus, die durch den Verzehr selbst erzeugter Lebensmittel, die nicht dem Lebensmittelrecht unterliegen, besonders gefährdet sein könnten. Im Zusammenhang mit PFAS verweist eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) beispielhaft auf die Kommunikation des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) zum Verzehr von Fischen aus dem Einzugsgebiet der Ruhr, dort empfiehlt man für bestimmte Bereiche der Möhne den Verzehr von Barsch nur noch einmal pro Jahr, den von Rotaugen bis zu fünfmal pro Jahr.
Auch in anderen PFAS-Regionen werden Verzehrempfehlungen für Fische ausgesprochen. Das Niedersächsische Verbraucherschutzministerium hat bereits vor zwei Jahren die Empfehlung veröffentlicht, dass „im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes im Hinblick auf PFAS Abstand von dem Verzehr von Fisch aus Flüssen in Niedersachsen genommen werden sollte“. Das bayerische Landesgesundheitsamt (LGL) aktualisierte im Februar auf mehr als 17 Seiten die PFAS-Belastung für Forelle, Barbe oder Aal aus untersuchten Gewässern und weist darauf hin, dass eine relevante Änderung der PFAS-Gehalte in Fischen aus einem bestimmten Gewässer erst zu erwarten sei, wenn der Kontaminationspfad, das heißt, die Belastung des Gewässers mit PFAS, abgestellt werde. Im Umfeld des Flugplatzes Manching in Oberbayern sind Boden, Grundwasser und Oberflächengewässer wegen der Verwendung von PFAS-haltigen Feuerlöschschäumen belastet. Seit 2019 empfiehlt das LGL „generell auf den Verzehr von Fischen aus zwölf beprobten Gewässern im Abstrom des Flugplatzes Manching zu verzichten“. Das von 2018-2020 durchgeführte Fischmonitoring wurde nach drei Jahren ersatzlos eingestellt, da sich die PFAS-Konzentrationen der Gewässer seit 2020 nicht nennenswert geändert hätten. Eine Wiederaufnahme sei fachlich erst wieder angezeigt, wenn die PFAS-Gehalte in den betroffenen Gewässern dauerhaft gesenkt würden.
Davon ist man überall aber leider noch weit entfernt, im Gegenteil. Denn je genauer man sucht, desto mehr PFAS-belastete Gewässer und Areale findet man, ob in Deutschland, Europa oder Amerika, vom Rhein über den Amazonas hin zu allen Ozeanen. 1500 PFAS-belastete Stellen in Deutschland, 17.000 in Europa und 21.000 europäische PFAS-Verdachtsfälle hat das Journalistenteam des europäischen „Forever Pollution Projekts“ bei den gemeinsamen Recherchen gefunden. Die Ergebnisse wurden im März 2023 zeitgleich in allen beteiligten Ländern veröffentlicht, ob in Le Monde, The Guardian, Die Süddeutsche, NDR oder WDR; landauf landab wird (momentan) über PFAS geschrieben und gesprochen.
Von den Fischen in die Eier
Und da Fische nicht nur von Menschen gegessen werden, sondern Fischmehl auch in Futtermitteln enthalten ist, konnte es auch nur kurz überraschen, dass man in Eiern in Dänemark PFAS gefunden hat und Fischmehl als Ursache vermutet. Dabei wurden in Eigelben aus Hühnerfarmen in ganz Dänemark hohe Konzentrationen an PFAS festgestellt. Diese könnten auf Fischmehl zurückzuführen sein, erklärte der Verband Danske Æg, der rund 90 Prozent der Eierproduzentinnen und -produzenten in Dänemark vertritt. „Aus Gründen der Lebensmittelsicherheit stellen wir die Verwendung von Fischmehl ein“, sagt Jørgen Nyberg Larsen, Sektormanager bei Danske Æg.
Dem BMEL liegen in dem Zusammenhang im Hinblick auf PFAS aus dem europäischen Schnellwarnsystem bzw. aus den Netzwerken für Lebens- und Futtermittel derzeit keine Erkenntnisse vor, die Deutschland seit dem 01.01.2023, dem Inkrafttreten der Höchstgehalte für PFAS in verschiedenen Lebensmitteln, betreffen (Stand Februar 2023). Für Futtermittel erfolgte bislang keine Festlegung von Höchstgehalten für PFAS auf EU-Ebene. In Vorbereitung auf die Festlegung von Höchstgehalten befindet sich eine Monitoring Empfehlung der Europäischen Kommission für Futtermittel aktuell in Vorbereitung.
Die Überwachung und Kontrolle von Futtermitteln liegen in der Zuständigkeit der Länder, dies schließt Warenuntersuchungen ein. Baden-Württemberg hat auf die aktuelle Studie aus Dänemark bereits reagiert und „anlässlich dieses Berichtes wurde aktuell die Erhebung und Untersuchung von Fischmehlproben durch die amtliche Futtermittelüberwachung veranlasst. Ergebnisse liegen noch nicht vor“, so der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums. In den Jahren 2021 und 2022 habe die amtliche Lebensmittelüberwachung insgesamt 182 Ei-Proben (überwiegend aus Baden-Württemberg) auf PFAS untersucht. Dabei seien in keinem Fall die seit 1. Januar 2023 geltenden Grenzwerte für PFAS in Eiern überschritten worden.
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie…
Fische sind gesund (eigentlich) und Angeln entspannt (eigentlich). Da wir aber mittlerweile PFAS weltweit in Trinkwasser, Grundwasser und Oberflächengewässern finden, gilt das vielerorts leider nur noch mit Einschränkung. Und da die Verwertung von Fischen viel weiter geht als das Grillen einer Forelle am Lagerfeuer, sind als Konsequenz viele andere Bereiche ebenfalls betroffen. PFAS in Fischen, Muscheln, in den Innereien aus Nutz- und Wildtieren, in Milch und auch noch in Eiern?
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie… ja, wen genau eigentlich? Die Firmen, die PFAS produzieren und verkaufen, die Landwirte, Fischer oder Jäger, die Kläranlagenbetreiber, Kompostbetriebe oder vielleicht doch die Behörden oder Verbraucherschützer?
Man kann diese Fragen zu der langen Liste ungelöster PFAS-Fragen hinzufügen, das Ende ist offen, die Antworten sind ungewiss.
Die PFAS traten in den 1950er Jahren ihren Siegeszug um die ganze Welt an, von den Haushalten bis in die Weltraumforschung. Risiken und Nebenwirkungen waren den Herstellern bekannt, aber man sprach nicht darüber. Diese Aufgabe fiel später Wissenschaftlern und NGOs zu, die seit Beginn der 2000er Jahre vor den Konsequenzen der PFAS-Verwendung warnten. Und während dieses ganzen Für und Wider wurden immer mehr der gesundheitsschädlichen PFAS für immer mehr Verwendungen produziert. Und immer mehr PFAS gelangten als Folge davon auch in die Umwelt, sie sind dort nicht abbaubar und haben sich „für die Ewigkeit“ eingerichtet, die Folgekosten gehen in die Milliarden. Kreislaufwirtschaft, Recycling und Nachhaltigkeit sind durch die breite Verwendung von PFAS, verbunden mit mangelhafter Transparenz und Kommunikation ernsthaft in Frage gestellt. Als Konsequenz auf die Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdung sollen diese Chemikalien nun als Gruppe europaweit verboten werden und nur „gesamtgesellschaftlich notwendige Verwendungen“ erlaubt bleiben.
Und während die Diskussion über notwendige und überflüssige PFAS an Fahrt gewinnt, viele Industrieverbände dagegen sind und das Ganze für nicht verhältnismäßig halten, hat man wohl nur dadurch eine realistische Chance, dass die Stoffe in den nächsten Jahrzehnten/Jahrhunderten aus unseren Ökosystemen wieder verschwinden, wenn es denn möglich ist.
Link:
Håkon Austad Langberg, Gijsbert D. Breedveld, Roland Kallenborn, Aasim M. Ali, Sarah Choyke, Carrie A. McDonough, Christopher P. Higgins, Bjørn M. Jenssen, Morten Jartun, Ian Allan, Timo Hamers, Sarah E. Hale, Human exposure to per- and polyfluoroalkyl substances (PFAS) via the consumption of fish leads to exceedance of safety thresholds, Environment International,Volume 190, 2024, https://doi.org/10.1016/j.envint.2024.108844
Text und Fotos ©Patricia Klatt
Foto Aalbrötchen & Krabben ©Matthias Schmiederer, Foto Angler ©Daniel Conde, Foto Austern ©Kirsten Fournier
Weitere Links:
Ausführliche Informationen zu der PFAS-Belastung in Mittelbaden sind in der der Broschüre: "PFAS/PFC in Mittelbaden, globale Umweltgifte werden zum regionalen Problem" auf dieser Homepage zusammengefasst.
Informationen zu PFAS finden Sie auch auf den Blog-Beiträgen auf dieser Seite sowie in dem Teil: Umweltgifte für die Ewigkeit.
Und ein aktueller Review-Artikel fasst auf 50 Seiten den aktuellen Stand in Sachen PFAS zusammen: Brunn, H., Arnold, G., Körner, W. et al. PFAS: forever chemicals—persistent, bioaccumulative and mobile. Reviewing the status and the need for their phase out and remediation of contaminated sites. Environ Sci Eur 35, 20 (2023). https://doi.org/10.1186/s12302-023-00721-8
#pfas #pfasmittelbaden #pfasfrei #pfasdilemma #water #health #foreverchemicals #fish #angeln